Wie soll Kirche morgen aussehen?

Anmerkungen zum 29. Evangelischen Kirchentag 2001 in Frankfurt

von Herbert H. Klement [ 1 ]


"Hatte der Kirchentag ein theologisches Profil?" Bei ca. 3.000 Einzelveranstaltungen hat kaum jemand dasselbe Programm erlebt: die vielen Aktivitäten, die Besucher, die sich inspirieren lassen wollten, die kirchlichen Funktionäre, die Skeptiker - gab es einen gemeinsamen Nenner? Vielleicht die Suche nach dem, was Kirche heute sein soll.

Die Einsicht hatte sich herumgesprochen, daß Christlichkeit in unserer Gesellschaft durchaus nicht mehr selbstverständlich ist - trotz großer Politikerpräsenz. Die Diaspora-Situation der Volkskirche in den neuen Bundesländern, die Erosion kirchlicher Bindung vor allem unter Jugendlichen in der alten Bundesrepublik sind bewußt geworden, einigen schmerzlich, andere bekennen nichtsdestotrotz ihren Glauben.

Hinzu kommt die Alltagserfahrung im Zusammenleben mit Moslems, Hindus und Gläubigen anderer Religionen. Trotz der Großveranstaltung Kirchentag: Die Kirche und ihre Botschaft verlieren für immer mehr Menschen an Bedeutung. Grundlegende Fragen standen deshalb im Raum: "Was heißt Christsein heute? Wie muß die Kirche für morgen aussehen?" Die Antworten standen in der Tradition früherer Kirchentage, die Akzente waren neu gemischt.

 

Verlust für die Gesellschaft

Da waren sich viele einig, daß der Rückzug der Christen ein Verlust für die Gesellschaft sei. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse forderte sie auf, ihren Glauben öffentlich zu leben und zu bezeugen. Nur im Privaten zu glauben, reiche nicht. Der Erziehungswissenschaftler Fulbert Steffensky bedauerte, daß Christen oft "eine Scheu vor dem eigenen Christsein" hätten.

Der Journalist Robert Leicht betonte die Bedeutung kirchlicher Erziehung. Das Nachsprechen der im Christentum überlieferten Glaubensformulierungen sei wichtig. Es gäbe ihm die Gewähr, im Strom desselben christlichen Glaubens wie seine Vorfahren zu leben. Angesichts des Übergangs vom "Nachwuchschristentum" zum "Wahlchristentum in einer pluralistischen Umwelt" nannte der Theologe Heinz Zahrnt notwendige Kennzeichen der Kirche der Zukunft: Als erstes müsse Kirche "Lebensgemeinschaft mit der Bibel und um die Bibel" sein. Für solche Kirche sei Mission der einzige Weg in die Zukunft.

Glaubensfragen und Bibelarbeiten standen hoch im Kurs. Auf die Frage, wer denn ein Christ sei, betonte Bischöfin Margot Käßmann, daß Glaube nicht individualistisch sei. Ein Christ brauche die Gemeinde. Glaube helfe, denn seit "Adam und Eva und Kain und Abel" wissen wir um Schuld und Verführbarkeit des Menschen. Der Kern des Glaubens der Christen ist die Auferstehung. Wer glaubt, ist befreit, sich der Welt zuzuwenden. Im Forum zum Thema Auferstehung wurde erklärt, was das "Bild von der Auferstehung" denn bedeute: daß der Mensch zu Gott zurückkehre.

 

Religion erleben

Vorrang vor der Theologie muß die vom Geist bewegte Religionspraxis haben, war eine weitere These. Der ist der Kirchentag in vielfältiger Weise nachgekommen. Meditative Feiern, Konzerte und Kultur allenthalben. Der Mensch solle "jenseits von Ideologie und damit auch jenseits jeglicher Theologie" die Gotteserfahrung in seinem Inneren suchen, meinte der Direktor des Museums für Moderne Kunst in Frankfurt, Jean-Christophe Amma.

Ein Buddhist im Forum Religionen knüpfte an mystische Traditionen im Christentum an, als er die Faszination der buddhistischen Meditationsprozession durch die Stadt erklärte. Das "Geheimnis des Glaubens" müsse nicht erklärt, sondern erlebt werden. Auf den Foren des Kirchentages wurde in diesem Sinne weitergearbeitet. Theologie als "Qualitätskontrolle des Glaubens" müsse zwar sein, aber sie sei Expertensache. Wichtig sei, daß sie tolerant sei, nicht exklusiv.

 

Eine gemeinsame Kirche?

Gerade weil die Mehrheit der Menschen ohne tiefe und feste kirchliche Bindung ist und die anderen Religionen in der Nachbarschaft leben, sieht die Trennung der Kirche in Konfessionen vorgestrig und nicht zukunftsfähig aus, so die Überzeugung vieler auf dem Forum Ökumene. Der Kirchentag mühte sich, die Geschwisterlichkeit der Kirchen zu dokumentieren.

Der designierte Bischof der evangelisch-lutherischen Kirche in Thüringen, Christoph Kähler, war sich sicher, daß die langfristige Entwicklung zwar nicht auf Vereinigung, wohl aber auf "eine gemeinsame Art Kirche" hinausläuft. Die Redeweise "Er hat ein anderes Gesangbuch" sei überholt. Gerade in den Liedern - den alten und den neuen - zeige sich die große Gemeinsamkeit in den zentralen christlichen Wahrheiten.

Die verantwortliche Einbeziehung von Laien in die Leitung der Gemeinde sei eine notwendige Aufgabe für beide Kirchen, wenn in entkirchlichten Gegenden "die Kirche im Dorf" bleiben soll. Eine gemeinsame Prozession zum Fronleichnamstag mit dem zwar (noch) leeren Kelch und dem Monstranz-Segen vor dem Frankfurter Römer gab der Sehnsucht der Gemeinden nach Gemeinschaft Ausdruck. Sie soll in vielen Orten nachgeahmt werden. Das Verhältnis der Kirchen sei derzeit so gut, wie es die einzelnen Menschen vor Ort spürten. Man müsse nicht auf Kirchenleitungen warten.

 

Sind auch die Heiden "erlöst"?

Zutiefst unchristlich sei es, vom interreligiösen Dialog zu erwarten, daß am Ende der Buddhist, Jude, Moslem nicht mehr Buddhist, Jude, Moslem sein sollte. Der Teilnehmer eines Podiumsgesprächs erntete für diese Äußerung anhaltenden Beifall. Eine fundamentalistisch-missionsorientierte Begegnung dürfe nicht sein. Die Antworten der Religionen über gelungenes Menschsein müßten zusammengebracht werden im Blick auf ein zu beschreibendes Weltethos.

Ethik, ohne Gott gebe es nicht, aber Gott selbst bleibe ein Geheimnis, dessen Antwort nicht exklusiv bei einer Gruppe zu finden sei. Für Heinz Zahrnt waren die Dinge einfach. Im Schlußvortrag seiner dreitägigen Vortragsreihe in der Pauluskirche meinte er: Jesus habe das Reich Gottes verkündigt, aber gekommen seien die Kirchen, ohne die es jedoch nicht gehe. Die Konfessionen seien bewegt von demselben Geist. Am Ende der Kirchengeschichte würden jedoch nicht die Evangelischen die Katholischen besiegen, sondern beide im Reich Gottes aufgehen.

Ähnlich verhalte es sich mit den Religionen. Heute wüßte man, daß die Mehrheit der Menschen auf der Welt keine Christen sind. Niemand würde sie mehr als "nicht erlöst" bezeichnen wollen. Offensichtlich habe derselbe Geist, der uns in Jesus von Nazareth begegnet, auch Mose, Buddha und Mohammed bewegt. Deshalb sollte man gelassen Christ sein, ohne andere bekehren zu müssen. Es gehe ja nicht mehr um Erlösung: "Am Ende der Religionsgeschichte steht nicht der Sieg des Christentums, sondern das Reich des Gottes", der seinen Geist in Freiheit vielfältig gegeben habe. Für Zahrnt ist dies offensichtlich kein Widerspruch zu seinem Plädoyer für eine "Kirche der Zukunft".

 

Randthema Evangelisation

Ob die Erosion der Bindekraft der Volkskirchen mit solchen Thesen gebremst werden kann? Dazu bedarf es wohl mehr, nämlich daß die Rückbesinnung auf die Wurzeln des Christseins, die Bibel und ihre Botschaft von Jesus, den gemeindlichen Alltag erfüllt. Fragen bleiben, wenn man bedenkt, daß die konkreten ethischen Aussagen der Bibel zu Ehebruch oder sexueller Orientierung für die Kirchentagskultur nur geringe Relevanz haben. Die Fragen der Homosexualität wurden nicht einmal mehr kontrovers diskutiert. Jeder konnte das finden, was er hören wollte, und die eigene Meinung bestätigt finden.

"Evangelisation" war kein direktes Thema des Kirchentages. Dabei ist die Einladung zum Glauben an Jesus die Hauptsache für die Zukunft der Kirche. Immerhin erschallte es auf dem Gospelkonzert am Samstagabend in der Frankfurter Innenstadt: Jesus loves you, this I know, for the Bible tells me so. (Jesus liebt mich ganz gewiß, denn die Bibel sagt mir dies).

[ 1 ] Der Autor, Dr. Herbert H. Klement (Sprockhövel), ist Theologischer Referent im Arbeitskreis für evangelikale Theologie und Gastprofessor für Altes Testament an der Evangelisch Theologischen Fakultät in Leuven (Belgien).




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Ins Netz gesetzt am 29.11.2001; letzte Änderung: 29.12.2016

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