Ist Allah der Gott der Christen?

von Michael Kisskalt [ 1 ]


Wir sitzen bei leckeren Sesamkeksen in einem Nebenraum der Moschee. Durchdringend aber liebevoll schaut mich der Imam Abdalah an, um dann zögernd zu sagen: "Ich bin mir nicht sicher, ob Sie mit dieser Einstellung Zugang finden in das Paradies." Gerade hatten wir über unseren Gottesglauben gesprochen. Entschieden und mit großer Überzeugungskraft schildert er mir die Jenseitigkeit und Einzigkeit Gottes. Ich stimme ihm in manchem zu, wenn er vom Gott der Schöpfung und des Gerichts redet, lege den Akzent aber auf die Weltzugewandtheit Gottes und seine Offenbarungsweisen in Vater, Sohn und Geist. Es gelingt mir kaum, ihm zu verstehen zu geben, dass für uns als Christen Gott auch nur einer ist, der sich aber "trinitarisch" offenbart: als Vater und als Sohn in Jesus Christus und als Heiliger Geist. Mit Bildern, wie im Religionsunterricht (z.B. ein Raum mit drei Dimensionen), versuche ich ihm klarzumachen, dass die Einheit Gottes dadurch nicht infragegestellt sei. Dass ich nun versuche, Gott mit irdischen Bildern zu erklären, empört ihn umso mehr. So sei ich dabei, die Sünde des Shirk, der Gotteslästerung, zu begehen, die schlimmste aller Sünden. Unser Gespräch verlief dann trotz dieser Unstimmigkeiten in guten Bahnen, weil wir uns begegnen und verstehen wollten: Wie so oft sei er hin- und her gerissen, so Abdalah, in uns Christen Glaubensbrüder zu sehen oder eben nicht.

Als ich dann einige Wochen später mit einer Gruppe von Studierenden die Moschee zur Begegnung und Gesprächen besuche, kommen wir wieder an den heiklen Punkt – dieses Mal beim Thema "Liebe Gottes". Zwar ist der Koran voll von Aussagen über die Barmherzigkeit Allahs, und hin und wieder liest man auch das Wort "Liebe", aber im Grunde genommen können Moslems bei ihrem Gott nicht die Eigenschaft der Liebe entdecken, weil Liebe immer das Begegnen auf Augenhöhe voraussetzt. Und der Gedanke, dass sich der allmächtige, ewige Gott mit uns sterblichen und sündigen Menschen auf einer Stufe befindet, sei undenkbar (Sure 5,18; 19,88-93). Die Barmherzigkeit Allahs gegenüber den Menschen bestehe darin, ihm die Möglichkeit des Gehorsams zu eröffnen, indem er ihnen im Koran seinen heiligen Willen kundtut. Und die Liebe des Menschen zu Allah (Sure 3,31) sei doch nichts anderes als dessen Bereitschaft, sich Gott zu unterwerfen und ihm zu gehorchen.

Dieses Gottesbild passt natürlich gar nicht zusammen mit der Gottesgeschichte, wie sie uns die Bibel erzählt: dass Gott sich immer wieder erniedrigt und in die Geschichte seines Volkes eingeht. Und die Jesusgeschichten im Neuen Testament gipfeln dann darin, dass Gott sich in Jesus in die Welt des schmachvollen Todes hinein begibt. Von all dem liest man im Koran nichts; auch dort nicht, wo von den Erzvätern und Propheten Israels oder von Jesus erzählt wird. Sie alle sind Menschen mit einer besonderen prophetischen Berufung, mit einem vorbildlichen Glauben, mit einer aufrüttelnden Botschaft, aber Gott bleibt in seinen gesetzgeberischen Höhen. Und Jesus, der größte Prophet nach Mohammed, wird vor seiner Kreuzigung durch einen Trick Allahs, des "Ränkeschmieders", entrückt, auf dass an Jesu Stelle ein anderer gekreuzigt werde (Sure 3,53; 4,156f). Dass der von Gott berufene, unschuldige Prophet Jesus für den sündigen Menschen sterbe, widerspräche der Gerechtigkeit Gottes. Und überhaupt habe der Mensch ein solches stellvertretendes Opfer nicht nötig, weil er ja den Weg des Gehorsams gehen kann, der ihn in das Paradies bringt. Dass Jesus nicht der Gottessohn ist, wird in der kürzesten Sure des Koran (112) deutlich gemacht: "Gott der Einzige hat weder gezeugt noch ist er gezeugt worden". Im Rahmen des islamischen Gottesglaubens, mit seinem absolutistischen Jenseitigkeits- und seinem mathematischen Einzigkeitsdenken, ist das auch gar nicht möglich, denn sonst würde das ganze Glaubenssystem zum Einbruch kommen.

Insofern können sich also beide Seiten, Christen und Moslems, gelassen begegnen, denn sie müssen ihren Gottesglauben nicht abgleichen. Der Gott der Christen und der Gott der Moslems ist nicht derselbe. Manchen religiösen Traditionspool, aus dem sie schöpfen, haben sie gemeinsam, aber ihre Erfahrungen und Überzeugungen, mit denen sie diese Traditionen bewerten, sind zu unterschiedlich.

Natürlich können wir uns als Christen vom islamischen Gottesglauben positiv herausfordern lassen: Wir stehen manchmal in der Gefahr, Gott als Kumpel in allen Lebenssituationen zu verstehen. Hier könnten wir von Moslems lernen, Gott neu als den Jenseitigen, ganz Anderen zu begreifen, und in Ehrfurcht vor ihm unser Leben zu führen. Aber solche Aussagen finden wir eigentlich auch in unserer Bibel. Andererseits werden viele Moslems deswegen Christen, weil sie in ihrem Lebenskampf und in ihrem Leid bei dem kalt berechnenden Allah keine Zuflucht finden, aber in dem leidenden Gottessohn.

[ 1 ] Der Autor, Prof. Dr. Michael Kisskalt, ist Professor für Missionswissenschaft und Interkulturelle Theologie und Rektor am baptistischen Theologischen Seminar Elstal (Berlin)



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Ins Netz gesetzt am 27.4.2016; letzte Änderung: aktualisiert am 27.04.2016

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