Kein Entrinnen vor Gottes Zorn?!

Was muss eine Bekehrungspredigt heute beinhalten?

Christoph Stenschke [ 1 ]

Nein, besonders beliebt war sie nie, jedenfalls nicht bei den "Weltmenschen". Und jetzt ist die Bekehrungspredigt auch für viele Christen eine Art Schmuddelkind, mit dem man besser nicht spielt. Früher haben unsere Väter und Mütter, ihre Pastoren und Evangelisten teils wortgewaltig zur Umkehr aufgerufen, unterstützt von einem gemischten Chor und einem ächzenden Harmonium. Darüber sind wir längst hinweg. Heute wird, unterstützt von einem mehr oder weniger gelungenen bunten Medienspektakel zu Jesus eingeladen, meist gewürzt mit einem kräftigen Schuss gut gemeinter Lebenshilfe, um das Ganze attraktiv zu machen. Wir sind ziemlich gut bei der freundlichen Einladung zur Freundschaft mit Jesus (und seiner Gemeinde!), beim sanften Werben um den Glauben. Immerhin hat doch Jesus selbst die Mühseligen und Beladenen zu sich eingeladen. Auch ich habe mehrfach solche Veranstaltungen geplant und durchgeführt.

Doch wir tun uns schwer, von Sünde, vom Gericht Gottes, von der Hölle, von Bekehrung, von der dringend nötigen Umkehr und der ihr folgenden Freude zu reden. Irgendwie passt das nicht in unsere Zeit, auch wenn es Themen sind, die in der Bibel eine große Bedeutung haben. Selbst in unseren Gemeinden ist es zu diesen Themen merkwürdig still geworden. Hand aufs Herz: Wann haben Sie über Bekehrung und Umkehr die letzte Predigt gehört oder gehalten? Wem von uns fehlt der zugunsten der Pflegeversicherung abgeschaffte Buß - und Bettag?

Zugleich erleben wir, dass unser attraktives Evangelium (wenn wir es überhaupt an Kirchenfremde bringen!) wenig Anklang findet. Die wenigen Menschen, die sich einladen lassen, finden oft nicht den Weg in die Gemeinde. Von einer lebensverändernden Nachfolge Jesu auf Lebenszeit und einem begeisterten Einsatz für seine Sache ist oft keine Spur. Manche wenden sich enttäuscht von Jesus und seinem Bodenpersonal schnell wieder ab. Wie viele sind ein Jahr nach ihrer "Bekehrung" noch dabei? Die Berichte von Menschen anläßlich ihrer Taufe sind teilweise merkwürdig blass und vage. Dabei ist doch das persönliche Zeugnis gerade bei einer Taufe auf das Bekenntnis des Glaubens von besonderer Bedeutung!

Seit Jahren verzeichnet unser Gemeindebund kein nennenswertes Wachstum, die Trockenzeit in den Taufbecken mancher Gemeinden hält schon lange an. Es beschleicht einen der Eindruck, dass es zwischen dieser Situation und dem von uns vermittelten Evangelium (neben anderen Faktoren – dessen bin ich mir durchaus bewusst!) einen Zusammenhang gibt.

Ein Blick auf eine Begegnung Jesu mit einem suchenden Menschen befremdet zunächst. Bei näherem Hinsehen wird sie zur Herausforderung. Da kommt ein wohlhabender Jude mit einigem gesellschaftlichem Status von sich aus zu Jesus (Lk 18.18-27). Von sich aus – und fragt, was er tun müsse, um das ewige Leben zu ererben. In den Himmel kommen will er also – eine Steilvorlage für jeden Evangelisten! Der Mann stellt die wichtigste Frage, die man stellen kann! Was für eine Bereicherung (auch im wörtlichen Sinn) wäre er für den Jüngerkreis gewesen! Kein anderer als Jesus kann besser und autoritativer antworten. Doch Jesu Antwort verblüfft. Zunächst weist Jesus von sich selbst weg hin auf Gott. Ewiges Leben in der Gegenwart Gottes gibt es nicht an Gott und an seinen Maßstäben vorbei. Jesus konfrontiert den Fragenden mit dem Willen Gottes: "Du kennst die Gebote". Das ist der Maßstab Gottes. Dem entgegnet der Mann, dass er dies alles gehalten habe. Jesus durchschaut ihn: Bei aller Gerechtigkeit und Selbstgerechtigkeit fehlt ihm eines: Sein Herz hängt an seinem Besitz. Aber er kann nur Gott oder dem Mammon dienen. Formal hatte er sich an die Gebote Gottes gehalten, doch sein Herz und sein Schatz waren anderswo. Seinen Besitz soll er weggeben, sich davon abkehren und Jesus nachfolgen. Nur so wird er einen Schatz im Himmel haben. Da geht der Mann traurig weg, "denn er war sehr reich" – und Jesus läßt ihn ziehen! Er läuft dem Mann nicht hinterher und korrigiert die Bedingungen nicht nach unten, bis es passt. Die radikale Forderung Jesu bleibt stehen. Dem modernen Verständnis von Evangelisation läuft hier vieles zuwider!

Von den Heidenchristen Thessalonichs schreibt Paulus, dass sie sich von den Abgöttern hin zu dem lebendigen und wahren Gott bekehrt haben, um ihm zu dienen und zu warten auf seinen Sohn vom Himmel, den er auferweckt hat von den Toten, Jesus, der uns vor dem zukünftigen Zorn Gottes errettet (1Thess 1.9f).

Es geht um die Abkehr von den Göttern der griechisch-römischen Welt, von den privaten Hausgöttern, von denen Glück, Wohlstand und Fruchtbarkeit abhängen sollen, von Zauberei und Magie, von Philosophien oder Ideologien. Und es geht um die Bekehrung zu dem lebendigen und wahren Gott, der Himmel und Erde gemacht hat, dem Menschen ihre Leben verdanken und vor dem sie sich verantworten müssen. Der Ruf zur Umkehr setzt Gott, den Schöpfer voraus. Wo Menschen nicht an Gott, den Schöpfer, glauben, seine Existenz verleugnen, kennen sie auch kein jüngstes Gericht und keine Verantwortung vor Gott. Und wenn es keinen Gott und keine Verantwortung vor ihm gibt, gibt es auch keinen Grund umzukehren. Wohin auch? Das Evangelium wird belanglos.

Der Ruf zur Umkehr setzt voraus, dass Menschen nicht schon irgendwie bei Gott sind oder sowieso irgendwie in den Himmel kommen (wie viele Petrus-Witze suggerieren mögen!), sondern sich ihm ganz bewusst hinwenden müssen. Menschen sind von Gott abgewandt, sie dienen Abgöttern, ob in antiker oder moderner Form. Heute geht es nicht um Zeus und Hermes, sondern um all das, worauf Menschen vertrauen, worin sie investieren und wovon sie ihr Leben abhängig machen: die Götter des Fortschritts, des Erfolgs, des Glücks, der Gesundheit, des Wohlstands, der "wellness" usw. Dass diese Götter aktuell sind und ihnen heute gedient (und vieles geopfert!) wird, ist offensichtlich.

Menschen stehen unter der Herrschaft der Sünde und gehen ohne eine entschiedene Hinkehr zu Gott seinem zukünftigen gerechten Zornesgericht entgegen. Davor gibt es kein Entrinnen. Ihre eingefleischte Rebellion gegen Gott und ihre Tatsünden trennen sie unweigerlich von Gott – in Zeit und Ewigkeit. Soweit die Bibel. Die Abkehr von den Göttern und die Umkehr zu Gott beinhalten das Vertrauen auf das von ihm gestiftete Evangelium von Jesus Christus. In keinem anderen Namen ist Heil, auch ist kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den wir gerettet werden können (Apg 4.12). Zum Glaubensinhalt gehören Tod und Auferweckung Jesu und die Erwartung seiner Wiederkunft aus himmlischer Herrlichkeit. Jesus soll unser Leben hier und jetzt bestimmen. Soweit die Bibel. Zur Umkehr gehört auch die Bereitschaft und unbedingte Verpflichtung zu einem neuen Leben: "zu dienen dem lebendigen und wahren Gott". Keine Bekehrung ohne einen neuen Gottesdienst! Wir sollen mit Christus sterben, begraben werden und zu einem neuen Leben in der Nachfolge Jesu auferstehen. Unser Leben steht unter dem Vorzeichen der kommenden Herrschaft Jesu. Soweit die Bibel.

Das alles ist uns bekannt. Doch glauben wir das in unserer postmodernen, toleranten Zeit wirklich noch? Ist Jesus wirklich der einzige Weg, um dem sicheren Zorn Gottes zu entrinnen? Genügt nicht eine allgemeine "Gottgläubigkeit"? Muss es überhaupt der biblische Gott sein? Und kann Gott denn etwas anderes als immerfort nur zu segnen und uns als himmlischer Über-Groß-vater andauernd wohlwollend den Kopf zu streicheln, egal wer wir sind und wie wir leben? Ist die Rede vom Zorn Gottes, von einem jüngsten Gericht, von der Verantwortung vor Gott nicht überholt? Auch unter Christen ist eine frohe Glaubensgewissheit einer gründlichen Verunsicherung bzw. einer postmodernen "Light"-Version des Evangeliums gewichen. Wahrscheinlich wäre eine ehrliche Umfrage zu diesen Themen in unseren Gemeinden verheerend.

Und wenn wir das in unserem Herzen wirklich glauben und mit vorgehaltener Hand gelegentlich darüber sprechen: Haben wir den Mut, das auch zu sagen? Öffentlich von der Kanzel und im persönlichen Gespräch? Nein, nicht pausbäckig und mit erhobenem Zeigefinger, aber deutlich und für alle verständlich? Oft haben unsere Väter und Großväter dies mutig getan. Sie sind verlacht worden, standen in der "Sektenecke" – und haben dennoch Menschen in die Nachfolge gerufen und neue Gemeinden gegründet. Wir dagegen werden nicht mehr verlacht, im Gegenteil, wir sind ein geschätzter Gesprächspartner im ökumenischen Konzert geworden und sonnen uns in der Anerkennung. An vielen Orten haben wir Gemeinden mit gut besuchten Gottesdiensten. Menschen kommen gern zu uns. Sie schätzen die freundliche Atmosphäre und menschliche Wärme in vielen Gemeinden. Andere können von uns lernen!

Aber rufen wir mit Worten und mit unserem Leben noch zur Umkehr auf? Wovon und wozu bekehren sich heute Menschen? Kehren sie sich von den Abgöttern ab, die sie erkannt haben und bekehren sie sich zu dem lebendigen Gott, den sie durch und bei uns kennen gelernt haben, der unser Leben bestimmt? Oder wenden sie sich enttäuscht von sich und von ihrem bisher nicht ausreichend gelungenen Leben ab, von ihrem familiären und beruflichen Versagen, ihren Charakterschwächen und ihrem mangelnden Selbstbewusstsein? Wenden sie sich dem lebendigen Gott zu oder bleiben sie bei sich selbst, dem Versprechen eines besseren Lebens, oder bei unserer Nestwärme hängen? Kommt es zu wirklicher Umkehr und Neubesinnung? Wann haben Sie das letzte Taufzeugnis gehört, das davon geprägt war?

Mit dem Appell, beherzter zur Bekehrung aufzurufen, ist es nicht getan. Wir brauchen vielmehr eine neue biblische Vergewisserung über Gott und den Menschen, über unsere Verantwortung, das Wesen der Sünde, das Gericht Gottes, unsere Unfähigkeit, uns selbst zu retten, über die Notwendigkeit und Möglichkeit der Umkehr und das neue Leben in Christus. Wir brauchen eine neue Bereitschaft, dem biblischen Evangelium zu glauben. Müssen wir selbst umkehren wegen eines verharmlosenden, einseitigen Evangeliums, unserer Anpassung an den Zeitgeist und unseres Schweigens? Wir brauchen Mut, diese heute nicht mehr salonfähigen Themen in einer Sprache anzusprechen, die Menschen heute verstehen. Diese Verkündigung wird auf Widerspruch stoßen und zugleich zu echten Bekehrungen führen. Unsere Welt braucht den Anspruch und Reiz des Evangeliums. Sie braucht keine Christen, denen die Belanglosigkeit ins Gesicht geschrieben steht!


[ 1 ] Der Autor, Professor Dr. Christoph Stenschke, ist Dozent für Neues Testament an der Bibelschule Wiedenest.



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Copyright (C) 2007 by Die GEMEINDE - C. Stenschke
Mit freundlicher Genehmigung des Oncken-Verlages.
Dieser Artikel schien zuerst in "Die Gemeinde" - Das Magazin des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden - Nr. 17/2007, Seite 6f.
Dieses Papier ist ausschließlich für den persönlichen Gebrauch bestimmt.
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Ins Netz gesetzt am 06.09.2007; letzte Änderung: 05.11.2014
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