Das Gebet in Bibel und Koran - ein Vergleich

Christine Schirrmacher [ 1 ]


1. Das Gebet im Islam


Das ungültige Gebet im Islam

Das Gebet ist im Islam von sehr großer Bedeutung; es steht in seinem Zentrum. Wer von "Gebet" spricht, meint meist das fünfmal täglich gesprochene Pflichtgebet, die "salat". Dieses Gebet muß von jedem Muslim, von Männern und Frauen ab der Pubertät jeden Tag zu genau festgelegten Tageszeiten auf Arabisch in Richtung Mekka gesprochen werden. Vorher muß sich der Beter rituellen Waschungen unterzogen haben, er muß vorschriftsmäßig gekleidet sein und den Ablauf des Gebets mit seinem mehrmaligen Niederknien und Niederfallen zur Erde mit allen Beweggungsabläufen genau beherrschen. Jegliche Abweichung davon wie Essen, Sprechen, Gehen oder irgend etwas anderes außer den vorgeschriebenen Handlungen machen das Gebet ungültig. Es ist dann "nichtig" (arab. batil) und zählt nicht bei der Erfüllung der täglichen fünfmaligen Gebetspflicht mit. Der Beter muß es nun von Anfang wiederholen. Fromme Muslime sprechen oft ein zusätzliches Gebet, für den Fall, daß ihnen unwissentlich ein Fehler unterlaufen ist.

Das rituelle Gebet

Zunächst steht der Betende mit dem Gesicht in Richtung der Ka'ba, dem Zentralheiligtum des Islam in Mekka, und spricht meist den ersten Koranvers aus der letzten Sure "Ich suche Zuflucht beim Herrn der Menschen" (Sure 114,1). Es folgt die "Absichtserklärung", ohne die ein Gebet grundsätzlich ungültig ist, die erklärt, wie viele Niederwerfungen jetzt durchgeführt werden. Dann spricht der Betende: "Gott ist groß" und tritt damit bis zur Zeit nach dem Gebet in einen Weihezustand ein. Danach kann der Betende eine freiwilliges Lob sprechen wie etwa "Lob sei dir, o Gott, Lob sei dir! Groß ist dein Name ... es gibt keinen Gott außer dir."

Danach folgt die Rezitierung der ersten Sure, der Fatiha, sowie weitere Koranverse. Danach verneigt sich der Betende zum ersten Mal und spricht "Ehre sei Gott" oder "Ehre sei meinem Herrn, dem Erhabenen; Ehre sei ihm!" Er richtet sich wieder auf und spricht: "Möge Gott den hören, der ihn lobpreist." Dann fällt der Betende nieder, zuerst auf die Knie und spricht wieder "Gott ist am größten", dann bis zur Erde, so daß Zehen, Knie, Handflächen und die Stirn den Boden berühren und sagt "Lob sei dir, mein Herr, dem Höchsten", was er mindestens dreimal wiederholt. Er richtet sich auf die Knie auf und spricht wieder "Gott ist am größten." Beim erneuten Niederfallen auf das Gesicht sagt er "Mein Herr, vergib mir, habe Erbarmen mit mir, gib mir, was mir zukommt, und führe mich den rechten Weg." Damit ist das erste Niederfallen beendet.

Dieses Gebet ist auch ein sichtbarer Ausdruck der Grundhaltung des Menschen Gott gegenüber: das sich Unterwerfen und sich Ausliefern an Gott und seine Allmacht kennzeichnen einen gläubigen Muslim. Der Begriiff "Muslim" bedeutet wörtlich: einer, der sich (Gott) unterwirft. Das rituelle Gebet im Islam ist also in erster Linie ein Gehorsamsakt und die Anerkennung der Allmacht Gottes.


Gebet tilgt Sünden im Islam

Die bewußte Vernachlässigung des Gebetes ist eine der schwersten Sünden, die ein Muslim überhaupt begehen kann. Gebet ist ein verdienstvolles Werk, das dem gläubigen Muslim im Gericht am Ende der Zeiten auf die Waagschale mit seinen guten Werken gelegt wird; es wirkt mit bei seiner Rettung, damit er Eingang ins Paradies finden kann. Das tägliche Pflichtgebet ist aber auch eine lebenslange Last, eine Bürde; insbesondere, wenn z. B. nach einer Krankheit viele versäumte Gebete nachgeholt werden müssen. Es ist nicht ein aus Freude geführtes Gespräch mit dem Vater.

Im Volksislam herrscht die Überzeugung, daß das Gebet kleinere Sünden tilgt, das Gebet in der großen Moschee in Mekka auch große Sünden. Das Gebet stellt die Verbindung des einzelnen zur weltweiten Gemeinschaft der Muslime (der umma), zu Gott und letztlich auch zum Propheten Muhammad her, denn auf ihn wird bei jedem der Pflichtgebete Segen und Heil herabgefleht, da niemand mit absoluter Sicherheit weiß, ob Muhammad selbst ins Paradies eingegangen ist.


Wurzeln der fünfmaligen Gebetspflicht

Mit icherheit bestand zu Beginn der Verkündigung des Islam ab 610 n. Chr. nicht sofort die Verpflichtung zum fünfmaligen Gebet. Erst aus Sure 11,114, einer Stelle, die auf die Zeit der Auswanderung der ersten muslimischen Gemeinde von Mekka nach Medina, der hijra, im Jahr 622 n. Chr. datiert wird, läßt sich die - zunächst nur an Muhammad ergangene Aufforderung - ablesen, ein dreimaliges tägliches Gebet zu verrichten. Sure 24,58 erwähnt das Morgen-, Mittags- und Abendgebet, also ebenfalls drei Gebete. Erst etwa 100 Jahre nach Muhammads Tod - dem 8. Jahrhundert n. Chr. - läßt sich aus der Überlieferung mit Bestimmtheit die Festlegung von fünf Gebeten nachweisen.


Freiwillige und freie Gebete

Über das fünfmalige tägliche Gebet hinaus können weitere, freiwillige Pflichtgebete gesprochen werden, womit sich die Zahl der Pflichtgebete bis auf acht am Tag erhöhen kann.

Zusätzlich kennt und empfiehlt der Islam aber auch Lob- und Bittgebete, die z. B. bei Krankheit oder zur Vergebung von Sünden gesprochen werden. Meist sind es vorformulierte Gebete aus Gebetssammlungen, die Verwendung finden. Dieses Gebet (du'a) nimmt allerdings im Vergleich zu den rituellen Pflichtgebeten einen nur untergeordneten Stellenwert ein.

Außerdem berichtet der Koran von Menschen, die sich mit bestimmten Bitten an Gott wandten und erhört wurden (3,38; 19,4). Gott fordert im Koran die Gläubigen auf, ihn um Hilfe anzurufen, damit er ihre Bitten erfüllen kann: "Ruft mich an, dann werde ich euch erhören" (40,62), oder Sure 2,182: "Und wenn dich (= Muhammad) meine Diener nach mir fragen, so bin ich nahe, und ich erhöre, wenn einer zu mir betet, sein Rufen" (2,186). Diese Verse bedeuten jedoch nicht, daß es im Islam üblich wäre, alle Anliegen des täglichen Lebens im Gespräch vor Gott zu bringen.


2. Das Gebet in der Bibel

Das Gebet in der Bibel ist ein freiwilliges Gebet, kein Pflichtgebet. Es ist immer ein persönliches Gespräch mit Gott und ein großes Vorrecht: Der Mensch als Sünder ist nicht würdig, vor Gott zu treten. Nur weil Jesus den Betenden vor Gott vertritt und ihn reinigt von "aller Ungerechtigkeit" (1. Johannes 1,9), darf er vor Gott treten, vor den "Thron der Gnade" (Hebräer 4,16).

Der Heilige Geist bringt in einem Menschen den Wunsch hervor, sich im Gebet mit allen Anliegen an Gott zu wenden. Demgegenüber beschränkt sich der Islam auf die Anordnung, vor Gott niederzufallen und die vorgeschriebenen Worte zu sprechen.

Jeder, der beten möchte, kann sich jederzeit und überall an Gott weden. Weil Gott der Vater seiner Kinder ist, erhört er ihre Bitten. Gottes Kinder können sich an Gott mit der vertrauten Anrede "Lieber Papa" ("Abba, lieber Vater", Römer 8,15) wenden. Was könnte größere Nähe, Vertrautheit, Fürsorge und Liebe ausdrücken?

Nirgends in der Bibel gibt es Anweisungen, wie oft und mit welchen Formulierungen ein Christ zu beten habe. Es gibt zwar Gebetstexte wie z. B. die Psalmen oder Jesu Gebete, aber keine Bestimmungen, die für alle Christen gelten. Es gibt keinen Ort, keine Zeit, keine Anzahl der Gebete, keine Körperhaltung und keine Gebetsform, die beachtet werden müßte, um das Gebet angenehm vor Gott oder "gültig" zu machen. Entscheidend ist die innere Einstellung des Beters, nicht seine Worte. Das Gebet wirkt im Letzten Gericht nicht mit zur Rettung eines Menschen.

Jesus selbst verwirft die Vorstellung, das Gebet müsse in eine bestimmte Richtung oder an einem bestimmten Ort gesprochen werden (Johannes 4,21). Jesus selbst ist der Weg zu Gott, aber die Einhaltung einer bestimmten Gebetsrichtung kann niemand näher zu Gott bringen.

Das Wasser der rituellen Waschungen macht nicht rein vor Gott: In der Bibel kann Reinheit nur durch Blutvergießen erreicht werden (Hebräer 9,22), und zwar nur durch das Blut Christi (Hebräer 10,14). Im Islam wird vermittelt, daß bloße äußerliche Waschungen für die Begegnung mit Gott rein machen.

Die islamische Auffassung, daß das islamische Pflichtgebet zur Errettung eines Menschen mitwirken kann, steht der biblischen Auffassung von der Errettung allein aus Gnaden gegenüber, denn "wenn die Gerechtigkeit aus dem Gesetz kommt, dann ist Christus umsonst gestorben" (Galater 2,21).


[ 1 ] Dr. Christine Schirrmacher studierte Islamwissenschaft, Geschichte und Religionswissenschaft in Giessen und Bonn und promovierte 1991 mit einer Arbeit zur christlich-islamischen Kontroverse im 19. und 20. Jahrhundert. Sie unterrichtet Islamkunde an der Freien Theologischen Akademie Giessen und im Martin Bucer Seminar Bonn und Hamburg. Sie ist wissenschaftliche Leiterin des "Instituts für Islamfragen (IfI) der Deutschen Evangelischen Allianz" (www.islaminstitut.de) und veröffentlichte mehrere Bücher zum Thema Islam, darunter "Der Islam – Geschichte, Lehre, Unterschiede zum Christentum", 2 Bde., Hänssler: Holzgerlingen 1994/2003.

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Ins Netz gesetzt am 24.04.2005; letzte Änderung: 06.05.2016

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