Biblische Manuskripte (neutestamentliche)

Die Chester-Beatty-Papyri I, II, III
(P45, P46, P47, alle 200 - 250 n. Chr.)

Für eine Neudatierung von "P46" in das 1. Jh. siehe Palaeographical Dating of p46 to the Later First Century

Die Geschichte der Funde

Im Jahr 1930 kam es zu einem Fund von biblischen Manuskripten, der in seiner großen Bedeutung nur dem Fund des "Codex Sinaiticus" zu vergleichen ist. Nördlich vom Memphis, gegenüber Fayum, an der Ostseite des Nils, wurden auf einem koptischen Friedhof bei Aphroditopolis von einigen Arabern verschiedene Krüge gefunden, die antike Papyri in griechischer Sprache enthielten. Sie wurden über Antiquitätenhändler in Kairo zum Verkauf angeboten. Sofort war das Interesse der großen Museen und Institute wach, aber die Händler verlangten derart unverschämte Preise, daß an den Erwerb zunächst nicht zu denken war.

Endlich schaltete sich der Millionär Sir Alfred Chester Beatty ein. Dieser war ein bekannter amerikanischen Sammler, der in England wohnte und Eigentümer einer wertvollen Kollektion von Handschriften war. Er kaufte, gleichsam mit einer Handbewegung, alles, was ihm erreichbar war. Aber auch die Universität von Michigan kaufte einen kleinen Teil der Manuskripte und weitere 15 Seiten landeten anderswo.

Am 17. November 1931 veröffentlichte der Textkritiker und Direktor des Britischen Museums, Sir Frederic Kenyon, diese Entdeckung in "The Times". Er wies darauf hin, daß es sich um Teile von 12 Manuskripten handle, die eine große Anzahl biblischer Bücher enthielten. Er selbst veröffentlichte von 1933-36 die Chester Beatty Papyri in einer 5-bändigen Ausgabe, während Henry Sanders von der University of Michigan /USA die eigenen Papyri publizierte.

Vom griechischen Alten Testament waren folgende Teile enthalten:

  • Teile von 1. Mose (um 300 n.Chr. - 27 Blätter )
  • 4. Mose, 5. Mose (1. Hälfte 2. Jh. - 50 Blätter )
  • Fragmente von Jesaja, Jeremia und Prediger (um 200 n.Chr.)
  • eine fragmentarische Handschrift von Hesekiel, Daniel und Esther (1. Hälfte des 3. Jh.).

Beschreibung der Chester-Beatty-Papyri

1.) P45 Chester Beatty I - Evangelien und Apg. (ca. 200 - 250 n. Chr.; vielleicht auch 1. Jh. n.Chr.)

Von den erworbenen Manuskripten waren vor allem die Fragmente des Neuen Testaments besonders wertvoll.
Ca. ein Viertel einer Kopie der vier Evangelien und der Apostelgeschichte lag nämlich vor.

  • Von den ursprünglichen 222 Blättern waren noch vorhanden:
    • 2 Blätter von Matthäus
    • 6 Blätter von Markus
    • 7 Blätter von Lukas
    • 2 Blätter von Johannes
    • 13 Blätter von der Apostelgeschichte
  • Die Sammlung bekam die Kodebezeichnung "P45".

Die Textstrukture in P45 ist weder völlig "alexandrinisch" noch völlig "westlich", noch viel weniger "byzantinisch". Markus dagegen zeigte eine deutlich "cäsareische" Struktur.


2.) P46 - Chester Beatty II - Die Paulinischen Briefe und der Hebräerbrief (ca. 200 - 250 n. Chr.)

Chester Beatty kaufte zunächst 10 Seiten dieses Kodices. Weitere 30 Blätter gelangten in den Besitz der University of Michigan und schließlich kaufte Beatty noch die letzten 46 Fragmente.
Nachdem die Eigentümer die Schriften ausgetauscht hatten, konnte eine Handschrift mit fast allen Briefen von Paulus und dem Hebräerbrief zusammengestellt werden.

  • Von den ursprünglich 104 Seiten, waren noch 86 erhalten geblieben.
  • Sie stammen aus dem Anfang des 3. Jahrhunderts. (Einige Experten datieren sie sogar in die Jahr 85 n. Chr.; siehe Link weiter unten)
  • Die Reihenfolge der Bücher ist folgende:
    1. Römer
    2. Hebräer
    3. 1. Korinther
    4. 2. Korinther
    5. Epheser
    6. Galater
    7. Philipper
    8. Kolosser
    9. 1. Thessalonicher
    10. 2. Thessalonicher
  • Die Sammlung bekam die Kodebezeichnung "P46".

Die Textstruktur von P46 ist eher "alexandrinisch". Trotz seines hohen Alters ist er aber eine sehr fehlerhafte Handschrift. Außerdem führen Untersuchungen des P46 zu der Tatsache, daß viele Lesarten des "byzantinischen" Textes sehr viel älter sind als die Handschriften, in denen sie sich finden.


3.) P47 - Chester Beatty III - die Offenbarung (ca. 200 - 250 n. Chr.)

Schließlich fand sich zwischen den Papyri noch eine Handschrift mit einem Drittel des Buches der Offenbarung.

  • Von den ursprünglich 32 Seiten waren nur noch der Mittelteil erhalten geblieben, nämlich 10 leicht beschädigte Blätter (Offb. 9.10 - 17,2).
  • Der Papyrus datiert um 250 n.Chr.
  • Er wurde mit "P47" bezeichnet.

Auch der der P47 ist von seiner Textstruktur dem "alexandrinischen" Typus zuzuordnen.


Man kann sich vorstellen, wie wichtig diese Funde waren. Mit Ausnahme der Hirten- und den allgemeinen Briefen waren alle neutestamentlichen Bücher vertreten. Das Alter der bis dahin gefunden Manuskripte und Textzeugen der griechischen Bibel wurde damit vom vierten Jahrhundert auf den Anfang des zweiten Jahrhunderts zurückverlegt.


Die Texttypen und ihre vermutlichen Entstehungsorte

Wie oben erwähnt, wird in der Textkritik bei der Bewertung von biblischen Manuskripten immer ein Texttypus angegeben, z.B. "alexandrinisch". Damit ist eine typische Texttradition gemeint, die eine Reihe von Besonderheiten aufweist. Man unterscheidet heute im allgemeinen vier Texttypen, nämlich den "alexandrinischen", "westlichen", "byzantinischen" und "cäsareischen". Diese Textfamilien wurden vermutlich durch ihre Entstehungsorte begründet.

In den Zentren der frühen Christenheit, d.h.

  • Alexandrien in Ägypten,
  • Cäsarea in Palästina,
  • in Byzanz (Osten) und
  • in Nordafrika und Rom (Westen)

wurden Abschriften des NT angefertigt. Im Laufe der Zeit entstanden deshalb regional unterschiedliche Texttypen, nämlich der

  • der alexandrinische (Alexandrien),
  • der westliche (Nordafrika / Rom),
  • der byzantinische (östliche, Konstantinopel = Byzanz)) und der
  • Cäsarea-Text, wobei es fraglich ist, ob dies überhaupt ein eigener Texttypus ist.

Vermutlich durch Querverbindungen zwischen diesen Texttypen sind auch Mischformen entstanden. Als man im Westen nur noch Lateinisch schrieb und sprach, wurde offenbar für die Überlieferung des griechischen NTs der byzantische Text (auch "Reichstext" oder "Mehrheitstext" genannt) bestimmend.

Bei der Bewertung der Textvarianten gibt man gegenwärtig vor allem dem "alexandrinischen" Texttypus den Vorrang.
Es ist eine Kunst, die einzelnen Varianten zu bewerten und sich dann für die vermutlich ursprüngliche Lesart zu entscheiden. Es gibt heute eine Reihe von Regeln, denen die Textkritik folgt, doch immer wieder müssen diese behutsam gegeneinander ausgewogen werden, um den diversen Varianten des biblischen Textes gerecht zu werden.

a) Der alexandrinische Texttypus

Der alexandrinische Texttypus gilt unter den Fachgelehrten als die authentischte Texttradition und wird z.B. in folgenden Manuskripten tradiert.

  • P75 (Bodmer XIV-XV = Fragmente von Lk und Joh)
  • P66 (Bodmer II = Evangelien),
  • P46 (Chester Beatty II = Paulusbriefe),
  • P72 (Bodmer VII / VIII = Petrusbriefe und Judasbrief),
  • Codex À (Codex Sinaiticus; ca. 340 n. Chr.)
  • Codex B (Codex Vaticanus; ca. 300 - 325 n. Chr.),
  • Codex C (Codex Ephraemi ; ca. 5 Jh.)
  • Codex L (Codex Regius, 8 Jh. = Evangelien)
  • Codex Q (Codex Guelferbytanus B, 5. Jh.)
  • Codex T (Codex Borgianus, 5. Jh.)

Die meisten Spezialisten gehen davon aus, daß dieser Texttyp das Resultat einer sorgfältig bewahrten Überlieferung ist. Er entstand in Ägypten und wird als der bedeutendste angesehen. Diese Beurteilung muß aber mit Zurückhaltung gewertet werden, denn das Alter eines Manuskriptes sagt, wie man heute weiß, wenig über seinen Textwert aus. Es gibt alte Handschriften, die einen sehr fehlerhaften Text transportieren, auf der anderen Seite wiederum junge Manuskripte mit einem vermutlich sehr urspünglichen Text.

Der alexandrinische Text weist

  • eine nur minimale Tendenz in Richtung Harmonisierung von Stileigentümlichkeiten eines Autors mit sonst üblichen Gepflogenheiten griechischer Syntax auf.
  • Die Lesarten sind im allgemeinen »schwieriger« als die Lesarten anderer Texttypen.
  • Dieser Texttypus wurde aber auch durch spätere Schreiber korrigiert.
  • Es ist der Text mit den ältesten Unzialen.

b) Der "westliche Texttypus"

Von Westcott / Hort und seinen modernen Vertretern stammt die Bezeichnung "westlicher Texttypus". Doch diese Bezeichnung kann nur unter Verwendung von Anführungzeichen geschehen. Denn der Codex D (der Hauptvertreter dieses Typus stammt nachweislich aus Afrika.

Als Vertreter dieses Typus gelten

  • Codex D (Codex Bezae, 5. Jh.; Hauptvertreter)
  • Manuskripte aus Nordafrika (Tertullian, Cyprian, einige altlateinische Übersetzungen),
  • Manuskripte aus Italien (Novatian, einige altlateinische Übersetzungen) und Südfrankreich (Irenäus).

Viele charakteristische Lesarten finden sich aber auch im Osten (Tatian, und Vetus Syra) und gelegentlich in Alexandrien (einige Zitate bei Clemens, in P66 [in Joh 6-7], in S [in Joh 1-8] und in W [in Mk 1-5].

Es gibt klare Hinweise darauf, daß dieser Texttypus nicht sorgfältig überliefert wurde.
Der Westliche Text ist

  • durch lange Paraphrasen und Zusätze (in Apg ist Codex D 10% länger als andere MSS)
  • sowie durch harmonistische Tendenzen und
  • Substitutionen von Synonymen gekennzeichnet.

Das Alter dieses Textes und die weite geographische Verbreitung sollten den Textkritiker jedoch davor bewahren, Lesarten des »Westlichen Textes« vorschnell zu verwerfen.

Unter den Gelehrten der Textkritik wird allerdings debattiert, ob der "westliche" Textypus überhaupt eine eigene Textfamilie darstellt. Eine halten eine eigene Bezeichnung für gerechtfertigt, andere lehnen es ab mit dem Verweis, daß die Unterschiede so gering sind, daß es sich nicht lohnt, eine eigene Klassifizierung vorzunehmen.


c) Der byzantinische Texttypus (sogenannte "Mehrheitstext" oder "Reichtstext")

Als Vertreter gelten z.B.

  • Codex A (Codex Alexandrinus; um 450; nur in den Evangelien),
  • Zitate in antiochenischen Kirchenvätern (die Kappadozier, Chrysostomus [gestorben 407], Theodoret von Zypern);
  • die frühesten vollständigen Zeugen datieren in das 8. Jh. (E, 0).

Diese Gruppe umfasst über 80% aller griechischen MSS des NT.

Dieser Text begann den alexandrinischen Text und den Text in Rom (Hieronymus) zu beeinflussen.

Er wurde von Chrysostomus von Antiochien nach Konstantinopel gebracht und wurde der beherrschende Text der östlichen Kirche.

Die meisten besonderen Lesarten des byzantinischen Textes gelten allgemein als sekundär:

  • grammatikalische Unebenheiten werden geglättet;
  • die Wortfolge wird um größerer Deutlichkeit willen geändert;
  • Substantive, Pronomina oder präpositionale Wendungen werden hinzugefügt;
  • parallele Stellen (vor allem in den Evangelien) werden harmonisiert.

Der sogenannte "Textus receptus" gehört zum byzantinischen Texttypus, allerdings vertritt er eine Reihe von Sonderlesarten (vgl. dazu bei Martin Heide: Der einzig wahre Bibeltext?)


d) Der "Cäsarea-Texttypus"

Frühere Forscher meinen in den Evangelien einen vierten Texttyp gefunden zu haben, der in folgenden Handschriften repräsentiert durch

  • P45 (Chester Beatty, um 200 n.Chr.)
  • Codex Washingtonianus ([W], 5. Jh.)
  • Zwei Minuskelgruppen 0, f1 und
  • Zitate bei Origenes (in Mk), Eusebius und Cyril von Jerusalem
  • Lektionare.

Es ist jedoch zweifelhaft, ob sie einen eigenen Texttyp darstellen; wahrscheinlich sind die hier relevanten Lesarten eine ungewöhnliche Mischung der alexandrinischen und byzantinischen Texttypen.



Weitere Links zum Thema:



Literatur

Bruce M. Metzger, Der Text des Neuen Testaments, Einführung in die neutestamentliche Textkritik, Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag, 1966

Kurt und Barbara Aland, Der Text des Neuen Testaments, Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft, 1989

Sir Frederik Kenyon, Der Text der griechischen Bibel, Göttingen: 1961

Ulrich Victor et.al., Antike Kultur und Neues Testament, Giessen: Brunnen-Verlag, 2003

Martin Heide, Der einzige wahre Bibeltext?, Nürnberg: VTR, 2004, 2. Auflage



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Ins Netz gesetzt am 21.05.2003; letzte Änderung: 29.12.2016

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