Wortstudie parakaleo - ermahnen, trösten
Ulrich Neuenhausen
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"Na, na, na, das macht man aber nicht ..." - das ist das, was mir als
erstes zum Thema parakaleo, "ermahnen", einfällt. Ich ermahne
euch aber, Brüder, so lautet das bei Paulus - und die Brüder zucken zusammen
und hoffen, dass der Anpfiff nicht zu stark ausfällt. Aber halt! Paulus
hat für diese Art von Ermahnen ein anderes Wort, noutheteo. Dieser
Begriff enthält eine gewissen Schärfe, weshalb er auch gerne mit
"zurechtweisen" übersetzt wird. Er kommt im NT acht mal vor (Apg 20,31;
Rom 15,14; 1 Kor 4,14; Kol 1,28; 3,16; 1 Thess 5,12.14; 2 Thess 3,15).
Der Begriff parakaleo kommt wesentlich häufiger vor, nämlich 105 mal. Im
Gegensatz zu noutheteo spielt er also eine weitaus wichtigere Rolle im
Gemeindeleben des NT.
Am häufigsten erscheint er in der Apostelgeschichte
und im zweiten Korintherbrief. In diesem Brief ist viel von Trost und
von Trösten die Rede, und so wird auch parakaleo oft in dieser Bedeutung
gebraucht: "trösten". So kommt er auch in den Evangelien vor. Menschen,
die einen Todesfall erleben (Mt 2,18; 5,4) oder sehr viel leiden mussten
(Luk 16,25), brauchen Trost. Noch häufiger gebrauchen die Evangelisten
parakaleo im Sinne von "bitten". Dabei geht es meist um ziemlich
schwerwiegende Anliegen, die mit großer Dringlichkeit vorgetragen werden.
Der Hauptmann bittet um Hilfe für seinen kranken Knecht (Mt 8,5), die
Dämonen bitten Jesus, in die Schweine fahren zu dürfen (Mt 8,31). In der
Bedeutung von "bitten" findet sich parakaleo auch häufig in der
Apostelgeschichte gebraucht (z.B. Apg 13,42). "Trösten" und "bitten"
sind damit zwei der wesentlichen Bedeutungen dieses Begriffs.
Angesichts dieser beiden Übersetzungsmöglichkeit klingt es tatsächlich
seltsam, dass parakaleo eine unangenehme, ermahnende Funktion hat.
Außerdem ist noch nicht geklärt, welcher Unterschied zwischen parakaleo
und noutheteo besteht. Was hat "bitten" und "trösten" mit
"ermahnen" zu tun?
Das "trösten" war für Menschen in einer sehr bedrängenden Situation
bestimmt. Diese Menschen haben große Not und brauchen den Trost nicht im
Sinne eines Trostpflasters, sondern als Hilfe, eine untragbare Not doch
noch zu ertragen. Das "bitten" wurde von Menschen ausgesprochen, die in
Not waren. Die Größe der Not ist sicherlich unterschiedlich, aber fast
immer wird deutlich, dass hinter den Bitten eine sehr große
Dringlichkeit steht. Wenn also parakaleo gebraucht wird, dann handelt es
sich um eine Zuwendung zu einem Menschen in Not oder um einen Notruf.
Dem entspricht auch die Herkunft dieses Wortes, das wörtlich
"herbeirufen" bedeutet und in der Antike gebraucht wurde, um die Götter
zum Opfer zu rufen.
Eine dritte Bedeutung im NT ergibt sich, wenn man "trösten" und "bitten"
verbindet: "ermuntern"! Ermuntern bedeutet ja, jemandem Mut zu etwas
machen. Man stärkt ihn durch Worte und hilft ihm, negative Gefühle zu
überwinden. Insofern hat das "Mut machen" Ähnlichkeit mit dem Trösten.
Ermuntern bedeutet allerdings auch, jemanden zu etwas auffordern.
Insofern klingt auch die Bitte in diesem Wort mit an.
Wenn biblische Autoren ihren Hörern Mut machen, etwas zu tun, dann lässt
sich parakaleo am besten mit "ermuntern" übersetzen.
Ein Beispiel:
Die Elberfelder Bibelübersetzung übersetzt 1. Thess 2,10-12 mit:
"Ihr seid Zeugen und Gott, wie heilig und gerecht und untadelig
wir gegen euch, die Glaubenden, waren; wie ihr ja wisst, dass
wir euch, jeden einzelnen von euch, wie ein Vater seine Kinder
ermahnt und getröstet und beschworen haben, des Gottes würdig zu
wandeln, der euch zu seinem Reich und seiner Herrlichkeit beruft."
Im Zusammenhang mit "trösten" und dem Ausdruck dringlicher Bitte durch
"beschworen" macht es sehr viel Sinn, parakaleo mit "ermuntern" zu
übersetzen. Auf diese Art und Weise sagen alle drei Begriffe das Gleiche:
Paulus hat alle Überzeugungskraft aufgebracht und die Thessalonicher
sehr ernsthaft gebeten, sogar angefleht, nicht einfach die Berufung
Gottes einzustecken und dann alles so laufen zu lassen wie bisher,
sondern jetzt auch zu überlegen, wie diese Berufung sich im Leben
darstellen kann.
Ein weiteres Beispiel zeigt sehr deutlich, dass "ermahnen" keinen
harten, arroganten Zug hat, sondern sehr deutlich mit Höflichkeit und
Respekt vor dem anderen verbunden ist:
1 Tim 5,1:
"Einen älteren (Mann) fahre nicht hart an, sondern ermahne ihn als
einen Vater, jüngere als Brüder."
Statt einer harten und unbarmherzigen Schelte fordert Paulus einen Ton,
der den Älteren als Respektsperson stehen lässt. Und auch den Jüngeren
gegenüber duldet Paulus keine Überheblichkeit - sie sollen als "Brüder"
ermahnt werden.
Es wird deutlich, dass man möglicherweise an einer Reihe von Stellen, wo
bisher mit "ermahnen" übersetzt wurde, besser mit "ermuntern" übersetzen
könnte. Wichtiger noch als die Frage, welches deutsche Wort dem
griechischen parakaleo am Besten entspricht, ist die Frage,
welche Haltung im Leben diesem Wort am Besten entspricht.
Wenn "ermahnen" vor allem vom Bitten und Trösten her kommt, dann muss
sich das auch im praktischen Gemeindealltag so erweisen. Unser
"Kritisieren" oder "zur Rede stellen" oder "jemandem dem Kopf waschen"
darf nicht von "deutschen" Vorstellungen gefüllt werden, sondern muss
biblischen Vorstellungen entsprechen. Wer käme schon auf die Idee, wie
ein Vater seine Kinder (1. Thess 2, 10-12) seinen Bruder oder einer
Schwester auf einen Fehler oder eine Sünde aufmerksam zu machen. In der
Praxis klingt es doch oft eher so, wie ein Chef seinem Angestellten
oder wie ein Lehrer seinem Schüler etwas sagt. Der Blickwinkel,
den parakaleo vorgibt, ist deshalb eine wichtige Selbstkorrektur:
was bewegt, ist erstens die Not des anderen, zweitens die Not, die durch
das Verhalten des anderen entstehen kann. Was als Beweggrund nicht
akzeptabel ist, ist der eigene Zorn, die persönliche Unzufriedenheit,
die Abneigung gegen den anderen, der persönliche Geschmack, der Kampf um
die Interessen einer Gruppe, der Kampf um Traditionen.
Ermuntern ist eine wichtige Aufgabe in der Gemeinde. Immer wieder fordert
Paulus dazu auf oder praktiziert es selbst. Offensichtlich ist auch in
der Gemeinde des ersten Jahrhunderts das Leben eines Christen kein
Automatismus, der Besitz des Heiligen Geistes keine Garantie dafür, dass
ab jetzt alles richtig läuft. Gott hat es so bestimmt, dass wir uns
nicht autonom nach dem Motto "ich und mein Gott" entwickeln, sondern
auch vom Trost, vom guten Zureden, vom Ermuntern und Ermahnen unserer
Mitstreiter im Glauben abhängen.
Andererseits scheint dieses Ermuntern oft nicht recht zu gelingen,
Menschen fühlen sich beleidigt, Beziehungen werden belastet, Gefühle
werden verletzt. Vielleicht ist das ein Ausdruck dafür, dass wir es viel
zu wenig üben, dem anderen etwas in Liebe und echter Zuwendung zu ihm zu
sagen. Wenn wir es dann, selten genug, trotzdem tun, geht es schief und
entmutigt uns noch mehr, es weiter zu praktizieren.
So hoffe ich, dass dieser Artikel und diese Ausgabe uns ermuntern,
darüber nachzudenken, wie wir ein konstruktives "Ermuntern" entwickeln
und pflegen können, wie wir eine "Ermunterungskultur" in der Gemeinde
aufbauen können. Wenn eine solche Kultur besteht, dann wird auch der
Einzelne es nicht mehr als Unglück empfinden, wenn er "ermuntert" wird.
Die Fähigkeit, sich etwas sagen zu lassen, steigt, wenn das "Ermuntern"
eine Praxis ist, die ständig und mit allen Gemeindegliedern praktiziert
wird. "Ermuntern" darf kein "Abmahnen" sein, sondern muss als wichtiges
Werkzeug zur Förderung des Glaubens gebraucht und verstanden werden.
1. Thess 5,11: (Neue Genfer Übersetzung)
"Deshalb macht euch gegenseitig Mut und helft einander 'im Glauben'
weiter, wie ihr es ja auch jetzt schon tut."
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Ulrich Neuenhausen ist Dozent an der »
Bibelschule Wiedenest«.
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Copyright © 2001. Ulrich Neuenhausen. Alle Rechte vorbehalten.
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung.
Dieses Papier ist ausschließlich für den persönlichen
Gebrauch bestimmt.
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Ins Netz gesetzt am 1.6.02; letzte Änderung: am 23.06.2022
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