"Junias" - ein weiblicher Apostel?


Die Problemstellung

In neuerer Zeit wird die These, daß es in den apostolischen Gemeinden keine weibliche Apostel, Lehrer und Gemeindeleiter gab, gerne mit der Vermutung zu widerlegen versucht, daß in Römer 16,7 ein weiblicher Apostel namens "Junia" erwähnt sei.[ 1 ]

Dabei sei bemerkt, daß schon die Deutung des Textes nicht ganz einfach ist, denn der griechische Text lässt sich verschieden lesen. Das machen die verschiedenen Übersetzungen deutlich.



Der Bibeltext

Römer 16,7

Elberfelder 1905 "Grüßet Andronikus und Junias, meine Verwandten und meine Mitgefangenen, welche unter den Aposteln ausgezeichnet {O. bei den Aposteln angesehen} sind, die auch vor mir in Christo waren."
Revidierte Elberfelder 1985 "Grüßt Andronikus und Junias, meine Verwandten und meine Mitgefangenen, die unter den Aposteln ausgezeichnet (a) sind, die schon vor mir in Christus waren! ( [a] vielleicht in dem Sinn, daß sie "unter den Aposteln" angesehen sind)
Luther 1912 "Grüßet den Andronikus und den Junias, meine Gefreundeten und meine Mitgefangenen, welche sind berühmte Apostel und vor mir gewesen in Christo."
Luther 1984 "Grüßt Andronikus und Junias, meine Stammverwandten und Mitgefangenen, die berühmt sind unter den Aposteln und schon vor mir in Christus gewesen sind.
Schlachter 1951 "Grüßet Andronicus und Junias, meine Verwandten und Mitgefangenen, welche unter den Aposteln angesehen und vor mir in Christus gewesen sind."
Interlinearübersetzung "Grüßt Andronikus und Junias, meine Stammesgenossen und Mitgefangene, welche sind hervorragend unter den Aposteln, die auch vor mir gewesen sind in Christus!"


Deutung des Bibeltextes

Man ist bezüglich der Deutung von Römer 16,7 unterschiedlicher Auffassung. Es könnte sein, daß Andonikus und Junias sehr angesehen unter den Aposteln sind, aber selbst keine Apostel sind, oder sie sind als Apostel ausgezeichnet und anerkannt unter den Aposteln.



Ein männlicher oder ein weiblicher Name?

Von einigen Auslegern wird seit jüngster Zeit die These vertreten, daß es sich bei "Junias" um einen weiblichen Vornamen handelt. Der ursprünglich unakzentuierte griechische Text "Junian" kann nämlich sowohl ein Akkusativ, femenin von "Junia" sein, ebenso aber auch ein Akkustiv, maskulin von "Junias".

In einigen Übersetzungen wird deshalb der Name mit "Junia" wiedergegeben: NT von Fridolin Stier, Jüdisches NT, Neue Genfer Übersetzung (Fußnote: oder "Junias"), Neues Leben (Fußnote: oder "Junias"), Gute Nachricht (Fußnote: Es handelt sich mit großer Wahrscheinlichkeit um einen Frauennamen mit einem Kommentar in den Sacherklärungen), Hoffnung für alle.

Diese Interpretation ist jedoch wenig wahrscheinlich:

  1. Bei der paulinischen Neigung zu abgekürzten Namen erklärt sich das Wort am besten als Kurzform "Junias" für den häufig männlichen Namen "Junianus". So erscheint im Neuen Testament z.B. auch "Silas" als Kurzform von "Silvanus".
  2. Die Vorstellung, daß Paulus einerseits einen weiblichen Apostel grüßen läßt und andererseits in Übereinstimmung mit der Praxis der gesamten Christenheit den Frauen im Gemeindegottesdienst jede Form der Wortverkündigung untersagt (1Kor 14,33ff; 1Tim 2,15ff) ist historisch unglaubwürdig.
  3. Gegen die Hypothese, daß in Römer 16,7 von einem weiblichen Apostel die Rede ist, spricht außerdem der Befund, daß im ganzen Neuen Testament keine einzige Stelle auch nur leise auf die Existenz weiblicher Apostel hindeutet. Vielmehr bezeugen die Evangelien ausdrücklich, Jesus habe nur Männer in den Zwölferkreis berufen. Da die in Römer 16,7 erwähnte Person schon vor Paulus Christ wurde, müßte man zu der historisch unwahrscheinlichen Annahme greifen, daß die Urkirche schon bald nach der Auferstehung von Jesus die Praxis ihres Herrn beiseitegeschoben und Frauen zum Apostelamt zugelassen habe - eine Annahme, die jeder Grundlage in den uns zur Verfügug stehenden Quellen entbehrt. Man müßte annehmen, daß eine derartige revolutionöäre Neuerung der Urkirche in der Apostelgeschichte des betont frauenfreundlichen Lukas hätte erwähnt werden müssen, wo doch Lukas sogar die viel weniger wichtigen Mitteilungen macht, daß die Töchter des Philippus Prophetinnen waren (Apg 21,9) und daß Priszilla zusammen mit Aquila dem korinthischen Juden Apollos Privatunterrricht in den biblischen Schriften gab (Apg 18,6).
  4. Otto Michel kommentiert die Stelle mit folgenden Worten (Römer, KEK Römer z.St.): "... Andonikus und Junias, der eine also ein Jude mit hellenistischem, der andere mit lateinischnem Namen (Junias ist Abkürzung für Junianus). An eine weibliche Form (Julia oder Junia) ist nicht zu denken. Wenn Paulus seine "Volksgenossen" in disem Zusammenhang hervorhebt, dann willer offenbar das besondere Recht der Judenchristn auch in der römischen Gemeinde betonen. Andonikus und Junias haben in der gleichen Gefangenschaft gelitten wie Paulus selbst."

  5. Joachim Jeremias schreibt (Abba, 1966, S. 136): "Wir werden nach alldem schwerlich fehlgehen, wenn wir auch Andonikus und Junias, ... als Sendbotenpaar der Urgemeinde ansprechen ..."

  6. Der griechische Text ist sprachlich nicht eindeutig: Das älteste Manuskript, der sogenannte "Chester Beatty Papyrus" (P46) aus dem 2. Jh. nC., hat den femininen Namen "Julia", bzw. den Akkusativ "Julian".

    Im Codex Vaticanus (B, 4. Jh. nC.) erscheint der Name "Junian" ohne Akzent. Ein Korrektor änderte später den Namen "Junian" in "Junían" mit dem weiblichen Akzent, da der nicht akzentuierte Akkusativ "Junian" sowohl weiblich als auch männlich sein kann.

    Der weiblichen Form folgt dann auch u.a. der Mehrheitstext (M), wobei der Codex Sinaiticus (Aleph, 4. Jh. nC.) und der Codex Alexandrinus (A, 5. Jh. nC.) "Junian" überliefern, jedoch ohne Akzent.

    Der weibliche Name "Junia" erscheint über 250 Mal in griechischen und lateinischen Inschriften, wobei der männliche Name "Junias" nicht überliefert ist. Als die griechischen Texte mit einem Akzent versehen wurden, schrieben die Schreiber die feminine Form "Junían". Die Ansicht, daß es sich bei der betreffenden Person um einen Mann namens Junias handle, wird zum ersten Mal im 13. Jh. iun der lateinischen Kirche des Westens vertreten.

[ 1 ] siehe z.B. Ulrich Wendel: Priska, Junia & Co., Überraschende Einsichten über Frauen im Neuen Testament, Gießen: Brunnen-Verlag, 2003


Literatur:

Werner Neuer, Mann und Frau in christlicher Sicht, Gießen: Brunnen-Verlag, 1982

Joachim Jeremias, ABBA, Studien zur Neutestamentlichen Theologie und Zeitgeschichte, Göppingen: Vandenhock und Ruprecht,1966


Weitere Studien zum Thema:

R.R.Schulz, Expository Times, IIC (1986-87), S. 108-110

J.A.Fitzmyer, Romans (Ancor Bible Commentary), 1993) S. 737f

R.S.Cervin in New Testament Studies, XL (1994) S. 464-470


Internet:

Römer 16,7: War Junia ein weiblicher Apostel? © distomos.blogspot.de

Junia (Apostel) © Wikipedia



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Ins Netz gesetzt am 29.10.2004; letzte Änderung: am 04.04.2015

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