Das
Ältestenamt in der Sicht des 1. Timotheusbriefes von Dr. Ulrich Betz[1] 1. Einleitung zum Thema
a.
Die Lage in den Gemeinden
Das Bild, das wir im Neuen Testament von der Art und Weise der Leitung in den christlichen Gemeinden bekommen, ist in vielem lückenhaft und unscharf. Das liegt zum einen daran, daß die Angaben dazu in den neutestamentlichen Schriften jeweils nur bruchstückhaft oder andeutend sind. Es ist zwar zu merken, daß es Ämter, daß es bestimmte Leitungsaufgaben in der Gemeinde gibt und diese auch wahrgenommen werden. Aber sie werden nicht im einzelnen beschrieben, vermutlich deshalb, weil sie in ihrer Wichtigkeit nicht zu hoch eingeschätzt werden oder nicht problematisch sind. Zum
anderen ist zu erkennen, daß die Ordnungen der Gemeinden und damit auch die
Ämter in ihnen einem gewissen geschichtlichen Wandel unterworfen sind. Das
zeigt etwa die Entwicklung der Jerusalemer Urgemeinde. Zuerst
wird sie durch den durch die Nachwahl des Matthias wieder auf zwölf Apostel
ergänzten Kreis von Jüngern der ersten Stunde geleitet. Nach
einer gewissen Zeit hören wir aber, daß nun die drei "Säulen",
nämlich Petrus, Johannes und Jakobus, der Gemeinde vorstehen. Wieder
einige Jahre später haben wir die Führung durch den einen Mann: Jakobus. Dieser
Wandel in der Gemeindeleitung vollzog sich binnen einer Generation auf Grund
der sich wandelnden Verhältnisse, unter denen die Gemeinde in Jerusalem
lebte. Weiterhin
spielt dann auch der, geographische Raum
eine Rolle. Die
Gemeinden, die aus dem palästinensischen
Raum zu verstehen sind, also etwa die in Jerusalem, Judäa und Samarien,
entwickeln ihre Leitungsformen in Anlehnung an die Synagoge in Gestalt eines
Presbyteriums, eines Kreises von Ältesten also. Anders
liegen die Dinge in den Missionsgemeinden
rund um das Mittelmeer, die sich weitestgehend aus Heidenchristen
zusammensetzen ‑ wie es etwa die Paulusbriefe zeigen. Hier begegnet uns
das Bild charismatischer und unverfestigter Gemeindeleitung. Da ist die Rede
von geistbegabten Aposteln, von Propheten, Lehrern und Evangelisten, von
Hirten und Vorstehern. Da ist ganz allgemein von Begnadungen zu hören, die für
das Gemeindeleben von großer Wichtigkeit sind, also von Wunderkräften, Heilungsgaben,
von Fürsorge, Verwaltung und vielem anderen mehr. Dies alles ist zusammengefaßt
unter dem Begriff der "Diakonia", des Dienstes. Ein
letzter Gesichtspunkt ist im Blick auf die Führungs‑ und Leitungsfragen
der Gemeinden unübersehbar: Es ist der Generationenwechsel. Die
erste, erweckliche Generation stirbt mit der Zeit aus. Das Geistbewegte in den
ersten Gemeinden, das keinerlei fester Ordnung bedurfte, weil es sich von
selbst zusammenfügte, ließ sich ja nicht auf Dauer vererben und so erhalten. Das
Nichteintreten der Wiederkunft Christi in der ersten Generation der Christen
zwang die Gemeinden der folgenden Generation dazu, eine Ortsbestimmung nach
innen und nach außen vorzunehmen: nach außen in der Situation der Verfolgung ‑
nach innen im Gegenüber zu einbrechenden Irrlehren. Es
ist keine Frage, daß gerade von hierher die Lebensvollzüge der Gemeinden in
Bewegung gerieten und auch ihre Ämter nach den Notwendigkeiten umgeformt
wurden. Wenn
wir dies alles zusammenfassen, ergibt sich Folgendes: Mit dem Zuendegehen der
apostolischen Zeit ändert sich die Lage der Gemeinden. Der wachsende Abstand
vom Ursprung, die beginnende Verwirrung durch die Irrlehren, die zunehmende
Größe und auch der teilweise erlahmende Eifer in den Gemeinden führten mit der
Zeit überall zu einer führenden, verantwortlichen Schicht bis schließlich hin
zur Einsetzung förmlich berufener "Beamter". Ordnung
und Verlauf des Gemeindelebens sind nicht mehr wie in der Anfangszeit der
charismatischen Hochstimmung anvertraut. Denn diese nimmt stark ab oder
entartet schwärmerisch oder gar irrlehrenhaft. Darum
bedarf es nun der geistlichen Regeln, der Anweisungen und Verpflichtungen,
damit der Weg der Gemeinden klar bleibt, damit sie nicht auseinanderfallen.
Und dazu bedarf es wiederum der Menschen mit geistlicher Autorität im Rahmen
einer festen Ordnung. Es
ist darum auch nicht so erstaunlich, wie manche Leute das finden, daß ein Mann
wie der Apostel Paulus, der ja Vertreter des charismatischen Prinzips in der Gemeindeleitung
ist, gegen Ende seiner Wirksamkeit Briefe wie die Pastoralbriefe schreibt,
Briefe also, die die ersten Rechtsbildungen des Urchristentums enthalten und
verbindlich machen. Denn das Wohl und die Zukunft der Gemeinden erforderten
dies. Im
1. Timotheusbrief, der ja Ausgangspunkt unserer Überlegungen ist, gehören zu
diesen Rechtssetzungen neben Bestimmungen für den Gottesdienst (2,1‑15)
besonders die Beschreibung der Voraussetzungen und für das Bischofs‑ und
Diakonenamt erforderlichen Fähigkeiten (3,1‑13) ferner dann noch die
Anweisungen für den Umgang der Gemeinden mit ihren Gemeindewitwen und ihren
Ältesten (4,9ff) b. Das Verhältnis von
"Episkopos" (Gemeindeleiter) und "Presbyteros" (Ältester)
Es
fällt auf, daß, von den Pastoralbriefen einmal abgesehen, in den Paulusbriefen
dort, wo über die Gemeindeordnung und über die Gemeindeleitung gesprochen
wird, von Ältesten nicht die Rede ist. Es ist aber deutlich zu erkennen, daß
die Gemeindeleitung durch Älteste, die ja, wie wir sahen, im palästinensischen
Raum ihren Ursprung hatte, ihren Weg in die griechisch‑sprechende, in die
hellenistische Christenheit hineingenommen hat. Diese Ordnung bürgerte sich
also in einem Bereich ein, in dem das Leitungsamt ursprünglich durch Vorsteher
oder Episkopen und ihnen zugeordnete Diakone (Philipper 1,1) wahrgenommen
wurde. Denn wenn man die im 1. Timotheus und im Titusbrief beschriebenen
erforderlichen Eigenschaften der Bischöfe und Diakone mit denen der Ältesten,
der Presbyter also, vergleicht, ergibt sich eine weitgehende Deckungsgleichheit
des Pflichtenkreises. Unter verschiedener Benennung mußte also das Gleiche
getan werden. So
nimmt es nicht wunder, daß es allmählich zu einer gegenseitigen Durchdringung
und Verschmelzung beider Ordnungstypen gekommen ist. Ein
gutes Beispiel dafür bietet die in Apostelgeschichte 20 beschriebene letzte
Begegnung des Apostels Paulus mit den "Presbytern' der Gemeinde von
Ephesus In Milet. In seiner Abschiedsrede nennt er sie dann nicht
"Älteste", sondern "Episkope" und "Hirten" (Vers
28). Die Bezeichnungen für die Leitungsämter sind also offensichtlich
austauschbar. So
wie es die Apostelgeschichte zeigt, stehen die Dinge auch im 1. Timotheusbrief.
Allerdings ist dabei eine bedeutsame Ausnahme zu beachten: Zwar sind alle
Episkopen, alle Gemeindeleiter also, Glieder des Ältestenkreises einer
Gemeinde, aber nicht alle Ältesten sind Episkopen, sind Gemeindeleiter. Und:
Die Diakone, die Gemeindehelfer also, gehören nicht mehr zum Ältestenkreis. Sie
haben offensichtlich andere Aufgaben und sind in der eigentlichen Gemeindeleitung
nicht mehr vertreten. Eines
bleibt noch nachzutragen: Im 1. Timotheusbrief ist von den Episkopen immer nur
in der Einzahl geredet. Damit stellt sich die Frage, ob es nun nur noch einen,
alleinigen Gemeindeleiter geben soll, ob also hier ansatzweise das
vorgezeichnet sei, was sich später, im Frühkatholizismus, als das
"monarchische Bischofsamt" herausbilden wird. Man
wird diese Frage verneinen müssen ‑ insbesondere aus dem Zusammenhang von
Kapitel 3 mit Kapitel 5, aus dem deutlich wird, daß es einen Ältestenkreis mit
verschiedenen Episkopen gibt. Wenn
in Kapitel 3 in der Einzahl geredet wird, so deshalb, weil hier vom Leitungsamt
grundsätzlich, d. h. typisch geredet wird. Wir haben hier einen Ältestenspiegel.
In einem solchen Fall sagt man nicht, ob es einen oder mehrere Älteste geben
soll, sondern eben: "Für den, der Ältester werden möchte, gilt dieses und
jenes." Es
wird in diesem Zusammenhang auch zu bedenken sein, daß damals wie heute die
Anzahl der Gemeindeleiter auch von der Größe und den Bedürfnissen der
jeweiligen Gemeinde und von den Gnadengaben Gottes abhängig war und ist. Nur ‑
zu dieser Fragestellung äußert sich der 1. Timotheusbrief nicht. Er sagt nur,
wer Ältester sein kann und wer nicht. 2. Wer kann Gemeindeleiter
sein? (1. Timotheus 3, 1‑7)
Das
Amt des Gemeindeleiters ist trotz allem, was es an Bürden nach sich zieht (vgl.
Teil 3), ein erstrebenswertes Amt. Wenn sich also ein geistlich gesund
entwickelter Christ ernsthaft damit beschäftigt oder darum bewirbt, ist dies
keineswegs ungeistlich oder verwerflich. Dennoch
wird von vornherein klargestellt, daß diese Aufgabe nicht jedermanns Ding ist,
daß sie bestimmte Voraussetzungen und Qualitäten erfordert. Die
selbstverständliche Voraussetzung - weswegen sie auch nicht mehr genannt ist ‑
ist natürlich die, daß es sich bei dem Bewerber um einen von Herzen glaubenden,
in der Gemeinde bekannten und bewährten Mann handelt. Was
aber erfordert der "Ältestenspiegel" von dem, der das an sich
erstrebenswerte Amt ergreifen möchte? Das Generalthema, das dann in
verschiedener Hinsicht entfaltet wird, ist die Untadeligkeit des Bewerbers in
jeglicher Beziehung. Diese aber weist sich in einer Vierheit zunächst
folgendermaßen aus: 2.1. "Eines Weibes
Mann!" (V. 2a)
Man
hat immer wieder gefragt, was diese Bestimmung eigentlich meint. Denn ist das
nicht selbstverständlich, daß in der christlichen Gemeinde die Einehe gilt? Rennt
dieses Ordnungsmerkmal also nicht offene Türen ein? Es
bieten sich bei genauer Überlegung im Grunde drei Möglichkeiten an, diese
Bestimmung zu erklären: a)
Der Apostel verbietet tatsächlich die Mehrehe. Ein Mann darf neben seiner
Ehefrau keine weitere Frau - etwa eine Konkubine ‑ haben. Dann würde
dieser Hinweis den Bereich der geschlechtlichen Unordnung und des Ehebruchs
betreffen. b)
Es handelt sich um das Verbot der Wiederverheiratung, nachdem sich ein Mann
von seiner Frau hat scheiden lassen. Es schließt die Scheidung überhaupt aus. c)
Es geht um das Verbot der Wiederverheiratung nach dem Tod des Ehegatten. Das
würde bedeuten: ein Mann, der Gemeindeleiter sein möchte, darf in seinem ganzen
Leben nur mit einer Frau verheiratet gewesen sein. Man
kann nun meines Erachtens mit großer Sicherheit den letzten Punkt als nicht
gemeint streichen. Gemeint sind die beiden ersten Gesichtspunkte. Und zwar
deshalb, weil auch die christlichen Gemeinden immer wieder mit dem Einbruch der
ausgesprochen laxen heidnischen Ehe‑ und Geschlechtsmoral zu kämpfen
hatten und andererseits die willkürliche Scheidungspraxis, die im Judentum
geübt wurde, nicht unbekannt war. Der
Apostel macht an dieser Stelle betont klar, daß heidnische und jüdische Praxis
im Bereich der christlichen Gemeinde keinen Raum haben dürfen. Besonders
vorbildlich sollen dabei die sein, die ein Leitungsamt in der Gemeinde
anstreben, weil sie viel mehr im Blickpunkt stehen als die anderen. Vielleicht
kommt nun die Frage auf, wo hier eigentlich Schwierigkeiten liegen könnten.
Möglicherweise ist nun aber bei dieser Bestimmung nicht nur das gegenwärtige
Leben der Bewerber im Blickfeld, sondern das Leben vor ihrer Bekehrung. Was
tun, wenn die geschiedene Frau noch am selben Ort lebt? Wie soll, man sich
verhalten, wenn die Konkubinen (Nebenfrauen) eine ständige Belastung für den
Ruf des Mannes bleiben, der Gemeindeleiter werden will? Gerade
an dieser Stelle zeigt sich etwas, was wir, wieder zu unterscheiden lernen müssen.
Nämlich: Es gibt zwar in der christlichen Gemeinde Vergebung der Sünden. Ein
Mann, der aus einem sündhaften Ehe und Geschlechtsleben kommt, ist auf Grund
der Vergebung gerettet und somit volles Glied der Gemeinde. Aber
Vergebung der Sünde und der Lebensschuld und die Berufung in ein öffentliches
Führungsamt der Gemeinde ergeben sich nicht auseinander. Und zwar deshalb
nicht, weil dort, wo die öffentlichen Nachwirkungen des Sündigens nicht so
ohne weiteres zu tilgen sind, man besser nicht zur Berufung in ein Gemeindeamt
schreitet. Das
ist die Spitze der Bestimmung "eines Weibes Mann" zu sein. Von einem
Gemeindeleiter wird also gerade nicht Askese gefordert, sondern eine geordnete
und saubere Ehe. 2.2. "Nüchtern, besonnen
und sittsam" (V. 2b)
Hiermit
sind die Tugenden eines anerkannten, offenen und wertvollen Mannes beschrieben,
eines Mannes also, der ohne Schwärmerei und Überspanntheit in klarer und
gediegener Weise sein Leben gestaltet. Diese
menschlichen Vorzüge bekommen nun bei der Verwaltung des Gemeindeamtes ihre
besondere Bedeutung für das Gedeihen der Gemeinden. Offensichtlich hält der
Apostel etwas von dem Grundsatz, daß das, was sich ganz allgemein im
zwischenmenschlichen Bereich, im bürgerlichen Leben als unentbehrlich erweist,
um ein geordnetes Zusammenleben, zu ermöglichen, für die Ordnung im "Hause
Gottes". (2,15) nicht unterschätzt und auch nicht mißachtet werden darf. Dieser
Gedanke ist übrigens für das biblische Denken nichts Neues. Man vergleiche
dazu einmal das Buch der Sprüche. Es gilt jedenfalls zu sehen: Gute,
menschliche Tugenden sollen in den Dienst der Gemeindeleitung gestellt werden.
Ohne sie sollte keiner Gemeindeleiter werden. 2.3. "Gastfrei" (V.
2c)
Das
Haus des Gemeindeleiters soll ein offenes Haus sein. Es soll allen offenstehen,
die der Gastfreundschaft bedürftig sind. Der Wortlaut im Grundtext legt nahe,
bei solchen besonders ‑ an durchreisende Fremde zu denken, weniger an
Gemeindeglieder aus dem Ort. Gastfreiheit
soll nicht als Belästigung angesehen werden, die man seufzend auf sich nimmt.
Vielmehr soll man In ihr ein Geschenk zur Verwirklichung christlicher
Bruderschaft über die Ortsgemeinde hinaus sehen. (Daß wir heute vielfach gar
keine Möglichkeit haben, unsere Gastfreundschaft anzubieten, steht auf einem
anderen Blatt.) 2.4. "Zum Lehren
begabt!" (V. 2c)
In
der Befähigung zur Lehre anhand der österlichen Überlieferung wird eines der
Hauptmerkmale der Befähigung zur Gemeindeleitung gesehen. Denn Gemeindeleitung
ist ja nicht eigentlich technische Verwaltung, Management, sondern Führung
anhand von und zu geistlichen Grundsätzen. Von solcher Wegweisung her
empfangen ja die Gemeindeglieder Ihre Ausrichtung für Ihr Handeln. Lehrfähigkeit
aber setzt sich zusammen aus der Kenntnis der rechten Lehre (biblisches Wissen,
Theologie) und dem Wissen um die gegenwärtige Lage samt den geistigen
Strömungen der Zeit. Hinzutreten muß die Befähigung zum Reden sowie
seelsorgerliches und pädagogisches Geschick. Bibel und an der Bibel geschultes
Denken, eine wache und nüchterne Weitsicht, Redefähigkeit, Seelsorge und
Pädagogik ‑ das sind die Züge dieser "Begabung", die einem
Gemeindeleiter wesentlich ist. 2.5 Weitere Gesichtspunkte
Diesen
positiven Gesichtspunkten werden im Folgenden noch weitere angefügt, die sich
mehr mit der sittlichen Unantastbarkeit der Ältesten befassen (V. 3). Unmöglich
für das Leitungsamt ist ein Trunkenbold. Auch ein Mensch, der zur
Unbeherrschtheit und Gewalttätigkeit neigt (im Text steht das "harte"
– Wort "Schläger"!), der sich also mit Gewalt durchzusetzen versucht,
ist für die Gemeindeleitung unzumutbar. Hitzköpfe disqualifizieren sich selbst
durch den Schaden, den sie anrichten. "Ein
Hausvater Gottes" ‑ und das soll ja der Gemeindeleiter sein! ‑
zeichnet sich aus durch Güte, Nachsichtigkeit und friedliebende Haltung. Eben
diese Verhaltensweisen lassen nicht nur Vertrauen zu einem Ältesten entstehen.
Sie schaffen auch einen Raum von Freiheit und Offenheit, ohne den eine Gemeinde
nicht blühen kann. Zuletzt
werden dann noch Habgier, Geldgier, Gewinnstreben und Jagd nach Besitz als
Verhaltenswesen genannt, die einem nicht anstehen, der in dem wandernden
Gottesvolk, das hier keine bleibende Stadt hat, eine Führungsaufgabe wahrnehmen
will. Denn solches Verhalten ist dem Glauben zuwider. So kann einer nicht
Ältester sein, der dem Mammonsdienst verfallen ist. Diese
Bestimmung gilt sowohl für die Ältesten, die einem irdischen Beruf nachgehen,
wie auch für die, die als Älteste von der Gemeinde besoldet werden, weil sie
einen Auftrag wahrnehmen, der ihre ganze Zeit in Anspruch nimmt. Warum
ist dies so? Nun: Habsucht macht anrüchig nach draußen und schränkt die
missionarischen Möglichkeiten einer Gemeinde wesentlich ein. Und: Habsucht
man anrüchig nach innen und zerstört in der Gemeinde das Vertrauen, daß es
ihren Ältesten wirklich um den Dienst Jesu Christi geht. Wie
eine Gemeinde dafür Sorge tragen kann, daß die Erscheinung der Habsucht bei
ihren Ältesten nicht 'einreißt, muß die Besprechung von 1. Timotheus 5,17 zeigen
(vgl. dazu Abschnitt 5). 2.6 Vorangegangene Bewährung
Ein
letzter Kreis von Qualifikationsfragen beschäftigt sich mit der
vorausgegangenen Bewährung eines Bewerbers (V. 4‑6). Beachtenswert ist,
daß hier wieder von der natürlichen Lebensordnung ausgegangen wird. Einer,
der Gemeindeleiter werden will, muß den Erweis seiner Fähigkeiten dazu in der
Leitung seiner Familie erbracht haben. Wer hier nicht für innere und äußere
Ordnung zu sorgen vermochte, wer hier nicht als Autorität anerkannt und bejaht
wurde oder wird, wer sich hier als schwach, als allzu nachgiebig, als labil
erwiesen hat und noch erweist, der kann und soll dem Hause Gottes, der Familie
Gottes nicht vorstehen. Ein
Leitungsamt in der Gemeinde darf niemals zu Ausgleich des Versagens in der
Familie erstrebt und ausgeübt werden. Ein in seiner Familie lebensuntüchtiger
Vater scheidet nach dieser apostolischen Gemeindeordnung für die
Leitungsaufgabe aus. Diese
Bestimmung mag besonders uns heute als sehr schwerwiegend erscheinen, etwa angesichts
der Probleme, die sich in allen Familien mit den heranwachsenden Kindern
ergeben. Dennoch
ist ohne Frage der Grundsatz auch von uns durchzuhalten, daß menschliches
Versagen wie menschliches Bewähren in der eigenen Familie viel mit unserem
Christsein zu tun hat. Die Stärke und überwindende Kraft des Glaubens, ohne die
ein Gemeindeleiter in seinem Dienst nur scheitern kann, muß übrigens in
seinem Familienleben erkennbar werden und sich dort bewähren. Zu
der Bewährung des Glaubens in der Familie tritt dann auch die der Bewährung
eben dieses Glaubens im Leben der Gemeinde. Neulinge
in der Gemeinde sollen nicht zu schnell mit Leitungsaufgaben betraut werden.
Das ist nicht deshalb so, weil solche von ihrer Herkunft oder ihrer Begabung
vielleicht noch nicht fähig wären. Auch nicht deshalb, weil bei ihnen die
Gefahr des Abfalls vom Glauben und damit der Irreführung der Gemeinde
bestünde. Es ist vielmehr ein Akt seelsorgerlicher Barmherzigkeit an dem
Neuling, die ihm die Versuchung des Hochmutes und des Stolzes erspart. Stolz
aber und Selbstüberschätzung stellen eine erhebliche Gefährdung des geistlichen
Lebens und der geforderten Vorbildhaftigkeit dar ‑ wie auch eine
Beeinträchtigung des Friedens in der Gemeinde. Die
apostolische Weisung vertraut also weniger dem Elan und Enthusiasmus, dem
Begeisterungsfeuer der Neubekehrten, sondern sehr viel mehr auf den vielleicht
etwas gedämpfteren, dafür aber bewährten und erwiesenermaßen gefestigten
Glauben (vgl. 5, 22). Alle
hochmütige Verblendung, die wohl die Würde, nicht aber die Verantwortung des
Leitungsamtes wahrnimmt, überliefert den Gemeindeleiter dem "Gericht des
Satans". Man
fragt sich betroffen, was mit dieser Aussage gemeint ist. Dabei gehen die
Ansichten hierüber auseinander. Die einen sagen, daß es dem Gemeindeleiter so
gehen werde wie de m Satan, der einmal ein Engel und Diener Gottes war, der
sich überhob und der darum von Gott verworfen worden sei. Mir
selbst scheint jedoch die andere Deutung die richtigere zu sein. Sie besagt,
daß der Satan als Ankläger vor Gott steht und alles Verfehlen dem Urteil
Gottes unterwirft. Daß er, der Satan, gegenüber einem in Hochmut versagenden
Gemeindeleiter recht behalten wird ‑ eine sehr ernste Warnung! Der
tiefe Ernst, der über den Aussagen liegt, die die Bewährung eines zukünftigen
Ältesten betreffen, ist nicht von ungefähr. Denn es gilt ja hier zu sehen, daß
die Wirkungen mangelnder Bewährung nicht nur diesen einen Mann betreffen und
treffen. Auch die Gemeinde ist gleich mitbetroffen. Sie wird ja durch eine
schlechte Führung in ihrem inneren Leben geschädigt. Sie nimmt unter Umständen
an ihrem guten Ruf nach draußen hin Schaden. Und umgekehrt. Ein guter
Gemeindeleiter ist immer auch eine überzeugende Werbung für die Sache Jesu
Christ!. Denn ein nicht tadelsfreier Wandel der Christen und besonders ihrer
Führer verdeckt ja die "gesunde Lehre", das rettende Evangelium. Das
aber darf auf keinen Fall geschehen. 3. Welche Aufgaben hat ein
Gemeindeleiter?
(Titus
1, 7‑9; 1. Petrus 5,2‑4; Apostelgeschichte 20,28f; eventuell
Jakobus 5, 14 sowie die Sendschreiben der Offenbarung) Während
die Pastoralbriefe sich eingehend damit beschäftigen, welche Qualifikationen
für das Leitungsamt in der Gemeinde nötig sind, sagen sie über die inhaltliche
Seite dieses Dienstes, also darüber, wie dieses Leiten geschieht, nicht
allzuviel. Man
muß dieses Wie ‑ weil wohl zur Zeit der Abfassung der Briefe darüber so
eindeutige Vorstellungen bestanden, daß man sich dazu nicht mehr äußern mußte ‑
darum ein wenig zusammentragen. Dann aber ergibt sich im wesentlichen
folgendes: Zum
einen ist das Amt des Gemeindeleiters als Lehramt gesehen. Am rechten Wirken
seiner Träger hängt darum nicht nur deren persönliches Heil, sondern auch das
Heil derer, die sie hören und ihnen folgen, also der Gemeinde (1. Timotheus
4, 16; Titus 1, 9). Überall
müssen die Ältesten, ob gebeten oder ungebeten, als Wegweiser und Mahner
zugegen sein. Sie sollen falsche Anschauungen und Verführungen entlarven und
bekämpfen (2. Timotheus 4, 2) und für das, was sie lehren, selbst das lebendige
Beispiel geben (1. Timotheus 4, 12). Sie müssen bereit sein, im Dienst des
Evangeliums für den HErrn und für die Gemeinde zu leiden, denn die
uneingeschränkte Nachfolge Jesu zieht leicht die Verfolgung nach sich (2. Timotheus
3,12 u. 4,5). In
einer anderen Sprache, aber doch mit demselben Sinn sind die Aussagen des 1.
Petrusbriefes gehalten wie auch die der Apostelgeschichte (1. Petrus 5,2‑4:
Apostelgeschichte 20, 28). Hier ist das Leitungsamt als Hirtenamt, als
Wächteramt beschrieben. Hingabe
an diesen Dienst nach dem Vorbild des Erzhirten Jesus Christus ist hier
vonnöten, Hingabe im Dienst an der Gemeinde, die Christus gehört, weil Er sie
sich erworben hat durch Sein Blut. Man muß das einfach sehen: Der Hirte ist
nicht der Besitzer der Herde, sondern ihr Pfleger. Er ist gehalten, die Herde
zu bewahren und sie unversehrt ihrem eigentlichen Besitzer zurückzugeben.
Insofern ist Gemeindeleitung, ist Lehr‑ und Hirtenamt nichts anderes als
eine besonders herausgehobene Form der von allen Glaubenden geforderten guten
Haushalterschaft. Fassen
wir zusammen: Das Amt des Gemeindeleiters ist Lehr‑ und Hirtenamt. Es
ist also nicht so sehr ein technisches Amt, das in der äußeren Fürsorge für arme
und kranke und hilfsbedürftige Gemeindeglieder wirksam wird. Da
das Ältestenamt entscheidend mit dem geistlichen Leben der Gemeinde zu tun hat,
kommt dem Wirken seiner Träger eine große Bedeutung zu. Hier wird etwas erkennbar
von dem apostolischen Schlüsselauftrag: "Was ihr gebunden habt auf
Erden, das soll im Himmel gebunden sein. Und was ihr gelöst habt auf Erden, das
soll im Himmel gelöst sein." Ein Auftrag und eine Vollmacht, die nun
von den Aposteln übergeht auf die in den Gemeinden wirksamen geistlichen
Dienste. Um aber dieser hohen
Verantwortung gerecht zu werden, müssen sich die Gemeindeleiter über die
inneren Voraussetzungen ihres Wirkens ständig im klaren sein. Sie haben einfach
nötig, "stark zu werden in der Gnade, wie sie in Christus Jesus
ist" (2. Timotheus 2, 1). Sie dürfen nicht davon&xnbsp; ablassen, tapfer und folgerichtig den Weg Gottes zu gehen, der Ihnen, "nicht den
Geist der Furchtsamkeit gegeben hat, sondern der Kraft und der Liebe und der
Zucht" (1. Timotheus 1,
19). Dazu
tritt die innere Verpflichtung auf das Wort Gottes. Bei seinem Lehren und
Unterweisen, Mahnen und Zurechtbringen hält sich der Gemeindeleiter an die
unverfälschte Überlieferung der Apostel und an die heiligen, inspirierten
Schriften des Alten Testamentes. Das läßt ihn in der Wahrheit und in der Zucht
bleiben. Auffällig
und bedenkenswert ist hier, daß die Verantwortung für die Bewahrung und die
Weitergabe des geistlichen Gutes und Erbes nicht mehr bei der Gemeinde als
Ganzer liegt, sondern bei den berufenen Trägern des Ältesten‑ bzw.
Hirtenamtes, wie es der 1. Petrusbrief nennt. Es
gibt also bereits in der zweiten und dritten christlichen Generation das
Gegenüber von Führenden und Geführten, von Hirten und Herde, von amtlicher
Autorität und charismatischen Aufbrüchen. 4. Wie wird man Gemeindeleiter?
(1.
Timotheus 4,14; 5,22; 2. Timotheus 1,6; vgl. auch Apostelgeschichte 6,1 ff.) Leider
fehlen uns auch zu dieser Frage ausführliche Schilderungen über den Weg, wie
man Gemeindeleiter wird. Während nach Apostelgeschichte 6 die Vollversammlung
der Gemeindeglieder auf Anregung der Apostel die Diakone wählt und diese dann
durch die Apostel für ihren Dienst mit Handauflegung ordiniert werden ‑
und so oder so ähnlich könnte es bei der Berufung von Ältesten ja auch gegangen
sein! - hören wir von Timotheus (1. Timotheus 4,14), daß er in der Gemeinde
durch einen Propheten zum Dienst berufen und durch die Handauflegung der
Ältesten mit der Dienstgnade ausgestattet worden sei. Eine weitere ‑
offensichtlich für einen besonderen Dienst bestimmte ‑ Einsegnung hat
später auch noch der Apostel Paulus an ihm vorgenommen ‑ auch hier zur
Vermittlung einer besonderen Gnadengabe für diesen Dienst. So
bleibt uns ein weites Feld von Möglichkeiten. Da mag eine Gemeinde wählen. Da
mag eine prophetische Stimme das geistliche Berufungswort sprechen. Da mag ein
bereits vorhandenes Ältestenkollegium nach reiflicher Prüfung bestimmen. Da mag
ein ausgewiesener Gemeindeleiter andere kraft der ihm von Gott gewährten Autorität
berufen und ordinieren. Aber
grundsätzlich, d. h. in allen genannten Fällen und Möglichkeiten gilt, daß die
Einsetzung in den Dienst nicht ohne Handauflegung durch andere Älteste oder
Leitende geschieht, eine Handauflegung, von der man eine wirksame Übereignung
von Gnade und Kraft auf den erwartet, der eine so verantwortungsvolle Aufgabe
in der Gemeinde übernimmt. Der
"Gottesmensch" (1. Timotheus 6,11) stützt sich also bei der Leitung
der Gemeinde keineswegs nur auf die ihm unmittelbar von Gott zuteilgewordene Begabung
und seine wertvollen natürlichen Fähigkeiten. Es kommt die Übertragung der
Gnade zum Dienst, die Übertragung der apostolischen Vollmacht hinzu. Das
aber ist für unser Denken ein erstaunlicher Vorgang von beinahe
"sakramentalem" Gepräge. Aber wenn es - und weil es ‑ ein
geistliches Geschehen ist, werden wir ohne Not nicht darauf verzichten dürfen. Zwar
‑ und das ist wichtig! ‑ soll man eben wegen der Wirkungen der
Handauflegung niemandem zu schnell die Hände auflegen" (1. Timotheus
5,22). Aber eben diese Mahnung macht zugleich ja unabweisbar deutlich, um
welch einen wesentlichen Akt es sich hierbei handelt, in dem letztlich
zusammengefaßt wird: So wird man Ältester. 5. Wie soll eine Gemeinde mit
Ihren Ältesten umgehen?
(1.
Timotheus 5,17-22) Eine
Gemeinde kann an ihre Ältesten nicht nur Erwartungen richten, sie ist Ihnen
auch verpflichtet. Das zeigt der Text 1. Timotheus 5, 17‑22 in aller
Deutlichkeit. Hier wird sehr bestimmt der Grundsatz ausgesprochen, daß es sich für
eine Gemeinde gehört, ihren Ältesten oder Ältestenkreis mit besonderer
Ehrerbietung zu behandeln. Dies schließt je nach Lage der Dinge auch eine Art
von "Ehrenbezahlung" ein. Allerdings
werden bei der Behandlung der Ältesten gewisse Unterschiede eingeräumt. So
sollen die, die sich als Älteste besonders der Wortverkündigung und Seelsorge
zugewandt haben (und von daher keinen irdischen Beruf mehr ausüben können), die
doppelte Wertschätzung empfangen, die sich auch in ihrer Besoldung
niederschlagen soll: Die
Verantwortung der Gemeinde für den auskömmlichen Unterhalt derer, die
vollzeitlich oder teilzeitlich in ihr im Auftrag Jesu arbeiten, wird hier mit
einem Wort aus dem Alten Testament (5. Mose 25, 4) und einem Wort Jesu (Lukas
10,7) nachdrücklich, eingeschärft und verbindlich gemacht. Eine Gemeinde, die
sich an dieser Stelle richtig verhält, tut nichts Besonderes. Sie erfüllt
lediglich den Willen Gottes. Also
nicht Barmherzigkeit und Wohltaten, sondern Ehrung und angemessene Behandlung
verlangt Paulus für die Ältesten, eine Behandlung, also, die den Wert ihrer
Arbeit anerkennt. Übrigens auch dann, wenn sie alt geworden und nicht mehr
tätig sein können! Neben
dem Bereich der sozialen Fürsorge für die Ältesten tritt nun auch noch, was das
rechte Verhalten der Gemeinde angeht, der Bereich des Schutzes Ihres Ansehens
vor Verleumdung. Adolf
Schlatter (1852‑1938) schreibt (Erläuterungen III, S. 151 passim). "Es ist ein wesentlicher Teil der Ehre, die
ihnen gebührt, daß ihnen getraut wird und ihr Verhalten nicht argwöhnisch
bewacht wird. Einem Anspruch müssen sie aber unbedingt genügen, dem, daß sie
nicht sündigen. Wenn Älteste sündigen, vergiften sie die Gemeinde und machen
die Botschaft Jesu unwirksam. Den Nöten, die Paulus damit aufweist, stellt er
zwei Regeln entgegen, die miteinander zu verbinden sind. Die erste ist, nicht jeder Beschuldigung wird Gehör
gegeben; unbewiesene Klagen werden nicht angenommen. Solange nur ein einzelner das Sündliche beobachten
konnte, wird dem Ältesten das Vertrauen nicht entzogen. Erst dann kann mit
Gewißheit und öffentlich mit ihm über sein Sündigen gesprochen werden, wenn
der verwerfliche Vorgang durch zwei oder drei Zeugen erwiesen ist. Dann aber, wenn die verwerfliche Tat erwiesen
ist, darf sie nicht verheimlicht werden und geduldet. Dann nötige ihn, seine
Sünden zu gestehen, und dies nicht nur unter vier Augen, nicht in einer durch
Schweigen geschützten Beichthandlung, sondern vor allen. Öffentlich wird die Überführung des Schuldigen
vollzogen, damit alle sich fürchten. Die Ältesten haben die Freudigkeit und
Sicherheit, die ihnen ein erprobter Christenstand und der fruchtbare Anteil am
Leben der Gemeinde gewähren. Nun, da einer der ihrigen gefallen ist, gewinnen
sie im Anblick seiner Sünde die Furcht." Auffällig
ist, daß nun keinerlei Regelung darüber angefügt wird, wie nach der
öffentlichen Buße mit dem schuldig gewordenen Ältesten weiterverfahren werden
soll. Offensichtlich gibt es für solche weiterführenden Entscheidungen kein
Schema. Sie müssen von Fall zu Fall getroffen werden, in der Verantwortung vor
"Gott und Christus und den heiligen Engeln". Das
aber bedeutet: Sie dürfen weder durch Vorurteile noch durch Vorliebe beeinflußt
sein. Nichts anderes darf hier bestimmend sein als die durch die Wahrheit
begründete Gerechtigkeit und die sich an Christi Liebe messende Liebe. Es
geht bei der Ältestenzucht also nicht unbedingt um Ausstoßung des Schuldigen
aus dem Dienst, sonst wäre dies ausdrücklich vermerkt. Vielmehr geht es wie, für
die Gemeindeglieder auch für die Ältesten um die Heiligung des Willens Gottes
in Umkehr und Aufbruch zu neuem Leben. 6. Folgerungen für unsere
heutige Gemeindearbeit
a. Folgerungen auf Grund der
Lage der Gemeinden heute
Die
Folgerungen aus dem, was von den biblischen Texten auf uns zukommt, haben zum
ersten viel mit der gegenwärtigen Lage unserer Gemeinden zu tun. Natürlich ist
die Beurteilung der Gemeinden eine sehr persönliche, aber ich möchte sie
trotzdem wagen. Ich
stelle fest, daß wir in einem nicht geringen Teil unserer Gemeinden durch
nachwachsende Generationen bestimmt sind. Wir stellen also weithin nicht mehr
den Typus erwecklicher Gemeinden, deren Wachstum durch einen ständigen Strom
von Neubekehrten bestimmt ist. Wir ergänzen uns zu einem nicht unerheblichen
Teil aus unserem eigenen Bereich. Nicht wenige Gemeindeglieder sind bereits
dritte und vierte Generation. Damit
ist aber auch das geistlich‑erweckliche, bewegliche Moment, das die
Anfänge der Gemeinden bestimmte, zugunsten eines ordnungsmäßigen ‑ ob
die Ordnungen geschrieben sind oder nicht, spielt dabei überhaupt keine Rolle ‑
zurückgetreten. Wir schauen eben auf eine hundertjährige Geschichte zurück und
müssen die Geschichte ernstnehmen. Die
entscheidende Frage für die Gemeindeleitung liegt nun darin, ob uns die
Geschichte und die Formen, die uns überkommen sind, bestimmen und damit versteinern,
oder ob es uns gelingt, zu neuen Ufern der Nachfolge Jesu heute aufzubrechen,
ohne das Erbe der Väter zu&xnbsp; verachten.
Heiliger Geist und geschichtliche Ordnung müssen immer wieder zu geistlicher
Ordnung verschmelzen – das&xnbsp; ist ein
Dauerauftrag, dem sich kein Gemeindeleiter entziehen darf. Eine
weitere, auf Grund der Lage anstehende Frage ist die der rechten Lehre, sowohl
was die Dogmatik (Glaubenlehre) wie was die Ethik (Sittenlehre) angeht. In
den erwecklichen Anfangszeiten war man sich darüber völlig klar was rechter
Glaube sei, wie man es mit der Bibel als Wort Gottes zu halten habe, was es mit
dem biblischen Gemeindeverständnis, mit dem Herrenmahl usw. auf sich habe. Ähnliches
gilt auch für den weiten Bereich des sittlichen Verhaltens der Glaubenden.
Gewiß wurde auch damals gesündigt ‑ im Denken wie im Handeln - aber man
sah die Sünde und anerkannte sie und bereute sie. Heute
ist hier vieles ins Fließen geraten. Unsicherheit und Ratlosigkeit machen sich
breit. Oft auch eine falsche Toleranz, die Meinungen und Verhaltensweisen
erträgt, denen eigentlich die geistliche Mahnung und im letzten Gemeindezucht
entgegengesetzt werden müßten. Es darf nicht dahin kommen, daß wir vom Salz der
Weit gesalzen werden, statt daß es umgekehrt ist. Gerade
hier wird eine geistliche Gemeindeleitung ihre wesentliche Aufgabe sehen
müssen. Sie wird von der Schrift her immer neu Antworten und Verhaltensmodelle
entwickeln müssen, die angesichts des Generationenwechsels in den Gemeinden und
der sich ständig ändernden Weitszene ein verbindliches christliches Leben
ermöglichen. Um
nur ein Beispiel zu nennen: Viele unserer, jungen Christen steigen bildungsmäßig
und beruflich in Schichten auf, in denen sie sich nur schlecht als Christen
bewegen können, weil ihnen ihre Gemeinde und deren Leitung keine echte
Wegweisung anbieten konnte. Es
hilft hier, nicht, mit Wehmut an die '"gute alte Zeit" zu denken, wo
alles noch so viel einfacher und besser war. Hier liegt eine Herausforderung an
die geistliche und geistige Kraft und Phantasie und das seelsorgerliche Gespür
heutiger Gemeindeleitung. Sie darf sich vor dieser Aufgabe nicht drücken. Sie
ist hier in Pflicht und Verantwortung genommen. b. Folgerungen aufgrund der
Führungsproblematik in den Gemeinden
Die
oben skizzierte Erwartung an die Gemeindeleiter bedarf ja der Abdeckung durch
Ihre Persönlichkeit. Hier kommen die Fragen der Vorbildlichkeit hinein, auf die
die Pastoralbriefe ja so betont Wert legen. Wie
ist es mit dem offenen Haus der Ältesten? Wie geht er mit seiner Familie um,
und welches Zeugnis, hat er etwa bei seinen eigenen Kindern? Oder:
Ist er bereit, um seines Dienstes in der Gemeinde willen, der ja Zeit und
Kraft&xnbsp; erfordert, auf eine berufliche
Karriere zu verzichten oder sich mit einem geringeren Einkommen zu begnügen? Oder:
Wie ist es mit unserem Mut, das Wächteramt, das Seelsorgeamt ohne zu zögern
wahrzunehmen wie es der Auftrag ist. Um ein Beispiel zu nennen: Die Bibel sagt
uns, daß die Unzüchtigen und Ehebrecher das Reich Gottes nicht sehen werden.
Was unternehmen wir, wenn uns solche&xnbsp;
Dinge von Gemeindegliedern bekannt werden? Gewiß
gilt hier der apostolische Grundsatz, daß im seelsorgerlichen, Dienst Wahrheit
und Liebe miteinander verbunden zur Anwendung kommen sollen. Aber helfe ich
den Menschen damit, daß ich für sie bete und im übrigen hoffe, daß sich die
Dinge von selbst wieder einrenken? Oder gilt das klare Wort von der Schrift für
mich? Ist es dann nicht die größere Liebe, weil es um Heil und Verlorensein
geht, daß ich brüderlich die Schuld aufdecke und versuche, den Schuldigen unter
das Kreuz Christi zu bringen, wo seine Schuld getilgt wird? Ein
anderes Beispiel: Wir kommen zusammen, um das Mahl des HErrn zu feiern. Da
sind Menschen unter uns, zwischen denen es nicht stimmt, zwischen denen
unbewältigte Sünde steht. Wir wissen es, wagen aber nicht, das heiße Eisen
anzufassen. Und dann bekennen wir miteinander: "So sind wir, die
vielen, ein Leib...“ (1. Korinther 10,17). &xnbsp;Wir lügen vor dem Angesicht Gottes. Darum sind z.B. viele
unserer Mahlfeiern geistlich so unfruchtbar. Noch
einmal sei betont: Es geht keineswegs um Anprangerung oder gar Verwerfung von
Menschen. Es geht um Rettung, um Zurechtbringen und um das Durchfließen der
geistlichen Kraftströme durch die Gemeinde. Ich
will nicht verhehlen, daß diese Bemühungen oft unsagbar schwer sind, so daß man
nur mit Furcht und Zittern an sie herangeht. Aber das biblische Wort, der
Auftrag unseres HErrn, erlaubt es uns nicht, uns an dieser Stelle nur
Zurückhaltung aufzuerlegen. Nüchternheit, Güte und Verantwortungsbewußtsein für
das Haus Gottes sollen und werden hier zum Zuge kommen. Dazu
kommt aber nun ein weiteres. Es ist die Frage der Leitung im besonderen, also
der Frage der Autorität der Ältesten gegenüber der Gemeinde. Die letztere wird
ja nicht selten zurückgewiesen unter Verweis auf die eigene, individuelle
Gottesbeziehung. Aber
wir müssen darauf achten, daß eine solche Gleichmacherei den Aussagen des Neuen
Testamentes nicht entspricht. Zwar sind alle Glaubenden Glieder des einen
Leibes Christi. Als solche, als Glieder, sind sie alle gleichwertig. Sie sind
alle gleichermaßen von Christus erlöst. Aber sie haben nicht alle dieselben
Aufgaben. Jedes Glied hat seine besondere Aufgabe im ganzen des Leibes, aber
die Größe der Aufgaben ist unterschiedlich und die damit 'gegebene
Verantwortung auch. Das
aber gilt es zu sehen und im Gemeindeleben und in der Gemeindeordnung zu berücksichtigen.
Ohne die Achtung der von Gott gewährten Autorität In der Gemeindeleitung gibt
es kein gedeihliches Zusammenleben. Da werden die Gaben des HErrn an Seine Gemeinde
verachtet ‑ mit allen Folgen, die daraus erwachsen. In
diesen Zusammenhang gehört auch das Verhältnis von Ältesten und
Gemeindeprediger. Sind die Ältesten als Vertreter der Gemeinde die Vorgesetzten
des Predigers? Oder ist er kraft seiner Berufung von Gott ihnen übergeordnet
oder gegenübergestellt? Welchen
Stellenwert hat also der Prediger unter den anderen Ältesten? Wo liegen seine
besonderen Aufgaben In der Gemeindeleitung und wo nicht? Wie, sieht die
Arbeitsteilung zwischen dem "Vollzeitlichen" und den
"Teilzeitlichen" aus? Daß
gerade hier eine ständige Quelle von Spannungen, Mißhelligkeiten und Ärger
liegen kann, ist jedem Kundigen bekannt. Auch die Ursachen für das Absterben
geistlicher Gaben, von Müdewerden in der Mitarbeit, von Kritiksucht und
Untergraben von Vertrauen sind hier zu suchen. Das
Einmannsystem, in dem ein ausgebildeter Spezialist die ganze Arbeit tut und
dafür bezahlt wird, entspricht nicht dem Wesen der Dienstgemeinschaft und vor
allem nicht der Vergabe der Gnadengaben durch den einen HErrn. Auch
an dieser Stelle wird es für jede Gemeindeleitung entscheidend darauf
ankommen, zu einer gesegneten Form des Zusammenwirkens in gegenseitiger
Anerkennung und Bejahung der von Christus gegebenen Gaben und Kräfte zu kommen,
und das immer wieder. Und
ein letztes. Es ist die Frage, wie heute Älteste berufen werden sollen. Die
biblischen Modelle, die wir uns vor Augen gehalten haben, zeigen uns verschiedene
Wege. Einer von ihnen oder eine Kombination von ihnen wird sich immer als
richtig erweisen.[2] Wichtig ist,
daß es sich um eine geistliche Berufung handelt ‑ und nicht um einen
demokratischen Kuhhandel. Denn was unseren Gemeinden nottut, ist eine von Gott
bestätigte Führung, die die Gemeinden auf rechtem Kurs halten. Und das ist
keine kleine Sache. An
dieser Stelle müßte eigentlich noch von der Handauflegung die Rede sein, von dem, was sie vermittelt
und was sie bewirkt. Da sie jedoch ein Thema ist, was einer gesonderten
Betrachtung bedürfte, verweise ich hier auf das im biblischen Teil dazu Gesagte.
Erinnert sei auch an den Beitrag von Prediger Theophil Knippel. "Handauflegung
‑ Ritus oder Geschehnis?" (vgl. Der Gärtner Nr. 4‑6/1973). © Dr. Ulrich Betz. Alle Rechte vorbehalten. [1] Den folgenden Ausführungen liegen die Vorträge
zugrund, die der Verfasser bei der Ältestenrüstzeit vom 22. – 24. November 1973
in Holzhausen gehalten hat. (vgl. Der Gärtner Nr. 3/1974, S. 56) [2] An dieser Stelle müßte eigentlich noch von der
Handauflegung die Rede sein, von dem, was sie vermittelt und was sie bewirkt. Da sie jedoch ein Thema ist, was einer
gesonderten Betrachtung bedürfte, verweise ich hier auf das im biblischen Teil
dazu Gesagte. Erinnert sei auch an den Beitrag von Prediger Theophil Knippel:
"Handauflegung ‑ Ritus oder Geschehnis?" (vgl. „Der
Gärtner“ Nr. 4‑6/1973).
| zum Textbeginn |
Copyright © 1974 by Dr. Ulrich Betz Alle Rechte vorbehalten. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Verfassers. Dieses Papier ist ausschließlich für den persönlichen Gebrauch bestimmt. Original-URL: http://www.efg-hohenstaufenstr.de/downloads/bibel/aeltestenamt.html Ins Netz gesetzt am 20.04.2002; letzte Änderung: am 01.04.2020 Home | Links | Downloads | Webmaster |